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Schlussbild. Katharina Marie Schubert und Jörg Pose als Zarenpaar. Foto: Davids/Fischer

© DAVIDS

Kultur: Hier zahlt der Zar

Tom Kühnels und Jürgen Kuttners „Agonie“ in den Kammerspielen des DT.

Im Vorfeld hatte niemand ernsthaft daran gezweifelt, mit dieser Theaterpremiere auf das richtige Abendprogramm zu setzen. Zwar trug das „zaristische Lehrstück“, das Tom Kühnel und Jürgen Kuttner in den Kammerspielen des Deutschen Theaters justament herausbrachten, als Angela Merkel und Peer Steinbrück ihr TV-Duell bestritten, den gefährlichen Titel „Agonie“. Aber wer die witzigen, ebenenreichen, dabei extrem lässigen vorherigen Inszenierungen des Regieduos kennt, vermutete vitalitätsfreie (Rede-)Kunst perspektivisch eher an der TV-Front.

Überraschenderweise haben Kühnel und Kuttner ihre Drohung mit dem langen Todeskampf dann aber doch performativ konsequent eingelöst. In Jo Schramms ironisch historisierender Salon-Bühne spielt sich über zweieinhalb pausenlose Stunden eine Art Romanow’sche Familiensoap ab, an deren Beginn die Zarin Alexandra Feodorowna (Katharina Marie Schubert) in ihrem weißen Spitzenkleid ergriffen gen Schnürboden barmt. Nach den vier wohlgeratenen Töchtern, die im Hintergrund brav Ballettübungen absolvieren, hat sie ihrem Gatten Nikolai II. (Jörg Pose) endlich einen Sohn geboren. Wie wir aus der Historie wissen – und auch bei Kühnel/Kuttner noch einmal in epischer Breite erfahren – markiert diese Geburt den Beginn der denkwürdigen Familienbeziehungen zum Wanderprediger und ominösen Wunderheiler Rasputin: Auch im DT sehen wir dem kongenial besetzten Kuttenträger Michael Schweighöfer ausgiebig dabei zu, wie er mittels dubioser Beschwörungsformeln die Blutungen des kleinen, an Hämophilie leidenden Zarewitsch Alexej (Moritz Grove) stillt.

Kurzum: Der Abend hakt tatsächlich die im Untertitel angekündigten „letzten Tage der Romanows“ Station für Station ab; in bester Kolportage-Manier und vom Petersburger Blutsonntag bis zum abschließenden Tableau vivant in Jekaterinburg, wo die Zarenfamilie ja am 17. Juli 1918 erschossen wurde. Mit wachsender Irritation schauen die haupt- wie nebenberuflichen Kühnel-Kuttner-Fans im Publikum auf die stilechten Vollbärte, Uniformen und wirklich gelungenen Drehbühnenszenarien, die jetzt wechselweise hinter dem Salon aufgefahren werden und es locker mit jedem russischen Kostümschinken aufnehmen könnten. Der Zar im Schneetreiben, die Zarin im Kämmerlein, Rasputin zwischen brennenden Altarkerzen in seiner Ikonen-Bude.

Auf die große Brechung oder einen anderen ultimativen Dreh, der eine nachvollziehbare Fährte auslegt, wohin dieser Abend will, wartet man allerdings vergeblich – was bei Kühnel/Kuttner tatsächlich Ausnahmestatus hat. Die Ironieplanstelle übernimmt hier hauptsächlich ein Stilmittel, das wir bereits aus der Vorgängerinszenierung „Demokratie“ kennen: Die Figuren schmettern ihre inneren Zustände mittels denkwürdigen Liedgutes im Playbackverfahren aus sich heraus. Dabei besteht der besondere Clou im Falle der Zarenfamilie darin, dass es sich um klassenkämpferische Brecht-Eisler-Songs wie das „Lob des Lernens“ aus dem Lehrstück „Die Mutter“ handelt. Tenor: „Lege den Finger auf jeden Posten / Frage: Wie kommt er hierher? / Du musst die Führung übernehmen.“ Auf den kleinen Zarewitsch, dem dieser Song hier aus dem lieben Familienkreise eingeflüstert wird, trifft das bekanntermaßen nicht mehr zu.

Sicher: Es gibt die eine oder andere lustige Idee oder Szene in dieser Romanow-Soap, in der Kuttner selbst traditionsgemäß mehrere Rollen übernommen hat. Aber wer sich an so intelligent-gewitzte Abende wie „Die Sorgen und die Macht“ oder auch „Capitalista, Baby!“ erinnert, verlässt das Deutsche Theater ziemlich ratlos: Was hat man da eigentlich gerade gesehen?

Wieder am 13. und 18. 9., 19.30 Uhr

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