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Kultur: Hilde ist ein Hippie

Rote Rosen für die Diva: Tim Fischer singt eine Hommage auf die Knef. Ein Treffen mit dem Chansonnier

So was prägt. Sechs Jahre alt sein, in Hude bei Delmenhorst leben und dann die Nachbarin mit den großen silbernen Kreolen kennenlernen, die einem Walzertanzen beibringt. Und zwar zu Hildegard Knefs inzwischen zum Gassenhauser zerdudelten Hit „Für mich soll’s rote Rosen regnen“. Von da an war eigentlich alles klar. Die Liebe zum Lied, die Liebe zu Hilde. Und trotzdem hat Tim Fischer noch 31 Jahre Leben und 20 Jahre Bühnenkarriere verstreichen lassen, bevor er Hildegard Knefs Lieder auf der Bühne interpretiert.

Im September hatte das Programm im Hamburger St.-Pauli-Theater Premiere. Zum 85. Geburtstag der 2002 verstorbenen Knef, der am 28. Dezember gewesen wäre, kommt er mit „Happy Birthday Hilde“ in ihre heiß geliebte und gelegentlich heiß verabscheute Heimatstadt. Jetzt am Montag mit einem Konzert im Tipi am Kanzleramt, im März dann noch einmal als längeres Gastspiel.

Der Witwer kommt auch. Natürlich habe er Paul von Schell eingeladen, sagt Tim Fischer, den dritten und letzten Ehemann von Hildegard Knef. „Ich weiß ja, was sich gehört.“ Und wie er das weiß. Eine Kälteträne perlt über die sorgfältig rasierte Wange. Er tupft sie vorsichtig weg. „Ich hab’ noch versucht, mich schön zu schminken“, sagt Tim Fischer – halb Junge, halb Diva – und schält sich aus dem Mantel. Nachts ist der Sänger und Schauspieler, der 1995 mit gerade mal 22 als jüngster deutscher Chansonnier mit dem Deutschen Kleinkunstpreis ausgezeichnete wurde, erst von einem Auftritt aus Wien zurückgekehrt.

In seiner frisch bezogenen Wohnung am Innsbrucker Platz sitzt er noch zwischen den Umzugskartons. Dazu kommt die Studioarbeit am Album mit Knef-Liedern, das voraussichtlich Ende Januar erscheint. Alles ein bisschen viel im Augenblick. Er bestellt Tee. In der Bar des Kempinkis am Kurfürstendamm herrscht gediegene Ruhe. Eine der Hotelsuiten war mal Stammsitz der Knef. „Ja, Hilde hat hier öfter gebechert“, sagt Tim Fischer. Nicht nur das, auch einen Medikamentenentzug soll sie hier durchgestanden haben. Doch Knefs Kempinski-Affinität sei nicht der Grund, warum er seit seiner Anfangszeit als Neuberliner zu Beginn der Neunziger immer wieder gern herkäme. „Ich mag halt den alten Westen“, sagt er und zuckt fast entschuldigend die Schultern. Im Prenzlauer Berg hat er trotzdem gewohnt.

Die Geburtstagshommage auf Hildegard Knef im Tipi hat er sich gewünscht. Was ist die 1925 in Ulm geborene und im Jahr darauf nach Berlin umgezogene, in Schöneberg aufgewachsene Nachkriegsikone nicht alles gewesen: Trümmerfilmheldin, Weltstar in Hollywood und am Broadway, Überzeugungsberlinerin, Sängerin, Schauspielerin, Figur des Volkes, Schriftstellerin. „Die muss man doch feiern, die Frau!“ Nicht so sehr für Glanz und Elend ihres Achterbahnlebens, sondern für ihre Texte. „Mich interessiert die Lyrikerin, die Songschreiberin Knef“, sagt Tim Fischer und preist die Schönheit ihres Gedichtbandes „Tapetenwechsel“, aus dem er auch vorträgt.

Die Knef habe es verstanden, einen doppelten Boden in ihre Verse einzuziehen. Und ihr Stammkomponist Hans Hammerschmid habe sie kongenial vertont. Die 36 Lieder des Konzertes haben Fischers Pianist Rüdiger Mühleisen, Gitarrist Ralf Templin und Cellist Sebastian Selke mal jazzig, mal chansonhaft arrangiert. „Hilde war ein Hippie“, sagt Tim Fischer und meint damit nicht nur ihre Freimut und Hingabe, sondern den gesellschaftskritischen Geist der Siebziger, der Songs wie die frühe Öko-Hymne „Die Herren dieser Welt“ durchzieht.

Das Anverwandeln großer Musiker ist Tim Fischers künstlerisches Programm. Zarah Leander, Friedrich Hollaender oder Georg Kreisler waren schon dran. Wie wäre es mal mit selber schreiben? Muss nicht, sagt er, vielleicht später. „Sich um das zu kümmern, was verschüttet ist, ist genauso ehrenvoll“, sagt der selbst ernannte Kulturpfleger. Tatsächlich imitiert Tim Fischer den schnodderigen Sprechgesang der Knef nicht, sondern singt ihre Lieder und zähmt seine oft übertheatralische Bühnenpräsenz. Ganz ohne Pathos geht die Chose aber nicht. „Nicht Anbetung der Asche, sondern Weiterreichen des Feuers“, heißt sein Verehrungsprinzip.

Und sein erstes Knef-Lied „Für mich soll’s rote Rosen regnen“, zu dem er mit sechs Walzertanzen lernte? Ist natürlich auch im Programm. Muss doch furchtbar öde für einen Sänger sein, aus einem so überstrapazierten Song neue Funken zu schlagen. Gar nicht, sagt Tim Fischer, man müsse sich nur vom Schlagergeschunkel lösen und auf das Lied zurückbesinnen. Es handle von Größenwahn – als Künstler und als Mensch. „Sie dachte, was ich denke: Ich versteh’ mich selbst ja sowieso am besten.“

Persönlich kennengelernt hat er sie auch, die Knef. In Hamburg, vor zwanzig Jahren, bei einem Konzert zum 100. Geburtstag von Hans Albers, mit dem sie 1951 das Fernfahrerdrama „Nachts auf den Straßen“ gedreht hatte. Die Bühne war klapprig und Ilse Werner auch da, erzählt Tim Fischer. Hildegard Knef habe die reinste Massenhysterie ausgelöst. Fans mit ganzen Kisten voller Platten hätten für Autogramme angestanden. „Da habe ich ihre Wirkung erst so richtig begriffen.“ Auch nach den Konzerten, die er jetzt schon überall in Deutschland gegeben hat, kämen die Leute und bedankten sich. Für Hildes Mut, auch den zur Schwäche und zu Irrtümern wie ihrem Facelifting. Sie sind dankbar für die Offenheit, mit der sie schon Mitte der siebziger Jahre über ihren Brustkrebs sprach, für ihre Menschenliebe, ihre Schwermut, ihren Witz. Dafür danken sie Tim Fischer? „Nö, eigentlich danken sie ihr.“

„Happy Birthday Hilde! Tim Fischer singt ein Knef-Konzert“, Tipi am Kanzleramt, Montag 6.12., 20 Uhr.

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