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Kultur: Himmel und Hülle

Die Akademie der Künste ist endlich am Ziel. Aber was ist heute noch ihr Sinn und Zweck?

Pariser Platz 4, ein Platz an der Sonne. Vom weitläufigen Balkon genießt man einen Herrschaftsblick auf hauptstädtische Neubauten. Großbanken haben hier ihre Repräsentanzen, und alle greifen sie nach der kostbarsten Ressource, die Berlin zu bieten hat: Kultur. Auf den Längsseiten sind es die DZ-Bank und die Dresdner Bank, links und rechts der Quadriga Commerzbank und Berliner Bankgesellschaft mit ihrer Stiftung Brandenburger Tor. Alle tummeln sie sich im kulturellen Goldfischbecken, buhlen um gesellschaftliche Aufmerksamkeit.

Ein schönes Bild, das nachdenklich macht: Die Akademie der Künste ist von Konkurrentinnen umstellt. Bewegt man sich Unter den Linden nach Osten, setzt sich das fort: mit dem „Kulturkaufhaus“ Dussmann, mit dem Bertelsmann-Palais bei der Staatsoper – und eines noch fernen Tages wird sich auf dem Schlossplatz ein neues Forum auftun, für Ausstellungen, Debatten, Get-Togethers von Politik, Wirtschaft und Kunst. Wenn sonst kaum etwas wächst und die öffentlichen Etats schrumpfen, die Event-Kultur hat Konjunktur. Weiter draußen im Westen laden das Wissenschaftskolleg und die American Academy ein: stillere Orte des intellektuellen, künstlerischen Diskurses von internationaler Ausstrahlung.

Sie kehrt zurück ins Zentrum und ist doch nur eine Adresse unter so vielen: Am Sonnabend wird die neue Akademie der Künste am Pariser Platz eröffnet, am alten, traditionsschweren Ort. Der Bundespräsident, der Bundeskanzler, der Regierende Bürgermeister werden sprechen. Und die Präsenz der Spitzen des Staates wird auch daran erinnern, dass die Gründung der Preußischen Akademie vor über 300 Jahren, anno 1696, ein hoheitlicher Akt war. Keine Künstlerinitiative, sondern, wie vieles in deutschen Landen, eine Fortschrittsbegründung von oben. Zu Zeiten Kaiser Wilhelms II. zog die Akademie ans Brandenburger Tor. Die Nationalsozialisten zerstörten die Institution von Weltrang. In der DDR bot die Akademie ein widersprüchliches Bild – während sie im Westen ein glückliches Biotop bildete. Heute jedoch sitzt der Club der Weisen in einem Vakuum, und es wirkt etwas hilflos, wenn Akademie-Präsident Adolf Muschg fordert, man müsse sich jetzt wieder mehr in politische Fragen einmischen.

Wie denn? Wenn Günter Grass den Kapitalismus attackiert, so hört man den Nobelpreisträger, den weltberühmten Romancier, den alten politischen Aktivisten – und nicht den Alterspräsidenten der Berliner Akademie der Künste. Das ist das Grundproblem. Die Akademie hat sich selbst aus der interessierten Öffentlichkeit weitgehend verabschiedet. Ihren vorerst letzten großen Auftritt bekam sie in den Jahren unmittelbar nach der Wende. Ein hinhaltendes Drama von hohem symbolischen Rang: Ost und West wollten sich wiedervereinigen und konnten es doch lange nicht. Die Akademie-Präsidenten damals hießen Walter Jens und Heiner Müller. Man muss nicht noch einmal an die Verwerfungen, Verbitterungen, die politischen Kämpfe und Krämpfe erinnern; denn der Akt gelang. Man war wieder beieinander. Und seither ruht still der akademische See. Als hätten die Milieus von West und Ost einander lahm gelegt.

Wären da nicht das heftige und langwierige Gezerre um den Behnisch-Bau und die Frage der Akademie-Finanzierung gewesen, die schließlich der Bund durch seine Übernahme der laufenden Kosten entschied: Welche Rolle hätte die Akademie überhaupt noch gespielt? Vor allem mit sich selbst ist sie beschäftigt, ob Standort- oder Finanzierungsmodus. Eine prächtige Verpackung – wofür?

Die gläserne Fassade erlaubt tiefe Einblicke, sie lädt ein. Jedoch, was erkennt, was erwartet man dahinter? Braucht Berlin überhaupt noch eine Akademie der Künste? Was wären ihre Aufgaben, die nicht von anderen Institutionen besser und professioneller wahrgenommen werden? Die Idee, dass ein vornehmes Kollegium von Künstlern und Intellektuellen die Kunst fördert und die Politik in künstlerischen und kulturpolitischen Angelegenheiten berät, scheint von der Entwicklung überholt. Das, was die Akademie ihrer Verfassung nach tun soll, tun auch die Opern, die Schauspielbühnen, die Literaturhäuser, die Museen und eben auch die neuen (privaten) Institutionen : neue Tendenzen unterstützen und das kulturelle Erbe pflegen.

Schön klingt der Gedanke des von jedem Nützlichkeitsdiktat befreiten, musischen Miteinanders der Akademiemitglieder. So mögen sie denn denken, träumen, disputieren, die reichhaltigen Archive besorgen. Wird sich die Akademie selbst damit zufrieden geben? Der Behnisch-Bau mag zum Schneewittchensarg werden. Aber am Pariser Platz befindet man sich nicht in einer splendid isolation, sondern auf dem Präsentierteller. Daraus ergibt sich kaum zu leugnender Erfolgsdruck.

Die Massierung kulturorientierter Unternehmen und ihrer Stiftungen rund ums Brandenburger Tor ist ein relativ neues Phänomen. Hauptstadt, mit einem Wort. Dergleichen gab es weder in der DDR noch in West-Berlin. Aber dort begann schon vor 1989 die Erosion des akademischen Gesteins. 1988 war eine Art Schaltjahr. Berlin, Kulturstadt Europas, erfand sich als Ort des Neuen. Federführend war Nele Hertling, die nach über zwei Jahrzehnten die Akademie der Künste verließ. In deren starren Strukturen sah sie kein Innovationspotenzial mehr. Bis dahin hatte die internationale Performance-Welt am Hanseatenweg einen hervorragenden Platz gehabt: Nun öffnete Hertling mit dem Hebbel-Theater einen exklusiven Ort für neuen Tanz, Theater, Musik und all die Formen des Crossover. Die Akademie blieb in ihrem institutionellen Staub sitzen.

Ein exemplarischer Fall. Hertlings Hebbel-Theater bespielte Europa, während das bald darauf ins Leben gerufene Haus der Kulturen der Welt der sich abzeichnenden Globalisierung der Künste Rechnung tragen sollte. Beide Häuser, Hebbel wie HKW, erleben seither ständige Reformen, müssen sich stets neu definieren. Aus Hertlings nach fünfzehn Jahren seinerseits verkrustetem Hebbel-Theater wurde Matthias Lilienthals HAU, ein Blitzerfolg. Was zeigt, in welchem Ausmaß die Akademie der Künste von den Zeitläuften abgehängt wurde.

Es ist ja nicht so, dass der Akademie-Zirkel allein von pfeiferauchenden Autorendenkmälern beherrscht würde. Bereits 1984 beförderte Präsident Günter Grass die Gründung einer Abteilung für Film- und Medienkunst. Doch auch hier arbeitete man sich ins Abseits. Seit zwei Jahren gibt es eine eigene Deutsche Filmakademie mit inzwischen 600 Mitgliedern, mit Sitz in Berlin. Sie wählt die Preisträger des Deutschen Filmpreises aus und lebt von der Nähe zur Filmindustrie.

Ein Platz an der Sonne, repräsentativer geht es nicht. Und wenn man in die Sonne schaut, ist man geblendet. Und sieht nur Schemen.

Rüdiger Schaper

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