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Kultur: Himmlisch sanft

KLASSIK

„Meine Sechste“, meinte Gustav Mahler in charakteristischer Mischung aus klarer Selbsteinschätzung und Großspurigkeit, „wird Rätsel aufgeben, an die sich nur eine Generation heranwagen darf, die meine ersten fünf in sich aufgenommen und verdaut hat“. Heranwagten sich am Sonntag das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und sein Gastdirigent Marc Albrecht . Konnten sie die Rätsel der sinfonischen Sphinx lösen? Dem Applaus im Konzerthaus nach zu urteilen, waren sie zumindest dicht daran gewesen. Schon die positivistische Furchtlosigleit, mit der sie den Sinfoniebeginn mit Energie aufluden, ließ keine Zweifel am eigenen Tun aufkommen und tatsächlich sollte es gelingen, den Spannungsbogen über mindestens eine gute intensive Stunde bis zum Anfang des letzten Satzes zu halten.

Es gelang, weil Albrecht mit viel Sinn für ein klares Geflecht melodischer Linien arbeitete, das diese Energie auffangen, in deutlich markiertem Auf- und Abschwellen sichtbar machen und nach vorne weitergeben konnte. Im Finalsatz allerdings, wo alle Energien unter der Wucht eines provozierend konkreten Hammers kollabieren sollten, kamen mit dem Themenmaterial der vorausgegangenen Sätze einige Fragen hoch. Hätte man neben den grotesken Fratzen des Scherzos nicht auch ähnlich schillernde Bilder für die fragilen Idyllen des ersten Satzes finden können? Und hätten die hypertrophen Choräle des Freud-Patienten oder die unter derbem Herdengeläut unwirklich leuchtenden Wiesen nicht nach klarer vereinbarten poetischen Bildern und klarer artikuliertem gemeinsamen Klangempfinden verlangt? Denn nicht die Pranke der Sphinx tötet, sondern ihr Lächeln.

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