zum Hauptinhalt
Besinnliche Weihnachtsstimmung. Bäume ragen zur blauen Stunde in der winterlichen Landschaft bei Oy in Bayern aus dem Nebel.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Stille Zeit (1): Himmlische Ruh’

Stille Nacht und die Folgen: Die Feiertage mögen noch so sehr von Festen und anderen Turbulenzen heimgesucht werden, man nennt sie trotzdem die stille Zeit. Bis Silvester erkunden wir Phänomene des Stillstands.

Bevor man ihn sieht, kann man ihn schon hören. Genauer gesagt: eben gerade nicht. Meist ist es ein stiller Morgen, keine stille Nacht, wenn der erste Schnee die Wirklichkeit in einen Tagtraum verwandelt. Schon im Halbschlaf nimmt man die Metamorphose wahr, als Abwesenheit des Gewohnten. Es lärmt nicht mehr, es knirscht nur noch. Man wünschte es sich auch diesmal zu Heiligabend: Alles Hastige kommt der Welt abhanden, vorsichtig tasten sich Autos über spiegelglatte Kreuzungen, die Menschen bewegen sich in Zeitlupe. Stillstand, beinahe. Das Hintergrundrauschen des Verkehrs, das Abbremsen und Anfahren vor der Ampel an der Durchgangsstraße, das Scheppern der Müllabfuhr? Weggefiltert, als hätte jemand an einem großen Dimmer gedreht. Wie ein frisch gewaschenes Betttuch hat sich die Schneedecke über die Stadt gelegt. Eine perfekte Schallschutzschicht. Himmlisch, diese Ruhe.

„Schlaf in himmlischer Ruh“, lautet die frohe Botschaft von „Stille Nacht, heilige Nacht“, dem Weihnachtslied, das die Unesco inzwischen als immaterielles Kulturerbe für Österreich anerkannt hat. Streng genommen spielt die Erlösungsgeschichte, die da in drei Strophen und neun Paarreimen erzählt wird, in Bethlehem, einer Kleinstadt im Norden Israels also, wo um diese Jahreszeit Temperaturen von bis zu 20 Grad Celsius üblich sind.

Aber eigentlich ist die Ankunft des Göttlichen ohne knietief verharschten Schnee, ohne den Geruch von Apfel, Nuss und Mandelkern nicht vorstellbar. Auch nicht ohne Glühwein. Denn Glühwein hilft, die wahre Bedeutung des Lobgesangs zu begreifen, auf die bereits der Kolumnist Axel Hacke hingewiesen hat: Jesus muss ursprünglich noch einen Zwillingsbruder gehabt haben. Er hieß Owi und hat in der Zeile „Stille Nacht, heilige Nacht, Gottes Sohn, Owi lacht“ seinen Auftritt. Mit etwas Alkohol sieht man nicht nur doppelt, manchmal hört man auch mehr.

Weltweit beliebtes Weihnachtslied

„Stille Nacht, heilige Nacht“ entstammt der voralpinen Bergwelt des Salzburger Landes. Geschrieben haben das Lied der Dorfschullehrer und Organist Franz Xaver Gruber (Musik) und der Hilfspfarrer Joseph Mohr (Text), uraufgeführt wurde es vor bald zweihundert Jahren, am Heiligabend 1818 in der Schifferkirche St. Nikola in Oberndorf (401 Meter über dem Meer). Der Legende nach schufen die Autoren ein Stück, das sich auch mit der Gitarre begleiten lässt, weil die Orgel ihres Gotteshauses kaputt war. Der Rest ist Popgeschichte.

1822 wurde „Stille Nacht“ dem österreichischen Kaiser Franz I. und dem russischen Zaren Alexander I. vorgesungen, 1833 ging es in Dresden als „ächtes Tyroler Lied“ erstmals in Druck. König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, ein Fan der Tannenwald-Romantik, ließ sich 1854 eine Abschrift des Originals besorgen. Nach einer inhaltlichen Straffung, bei der drei Strophen und altmodische Wendungen wie „Jesum in Menschengestalt“ wegfielen, ist der Hit heute in mehr als 300 Sprachen und Dialekten verbreitet. „Silent Night“ gilt als weltweit beliebtetes Weihnachtslied.

Still beginnt die Nacht, triumphal schmetternd endet sie. „Durch der Engel Halleluja / Tönt es laut von fern und nah: / Christ, der Retter ist da, / Christ, der Retter ist da!“, jubelt es im Finale. Frohe Weihnacht!

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false