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Kultur: Himmlisches Leid

Ein Stuttgarter Symposium erforscht das Phänomen der Diva

Die Callas. Natürlich die Callas, immer wieder die Callas, sie war die letzte wirkliche Diva. Sie war leidenschaftlich, willensstark, professionell, sie verausgabte sich in ihren Rollen, und ihr Leben verlief so dramatisch wie das ihrer Bühnenfiguren. Heute wird die Russin Anna Netrebko – letzte Meldung: „keine Zeit zum Heiraten!“– als Nachfolgerin der Callas vermarktet. Eine typische Silikon-Diva? Eine Virtuosin des Mimikry?

Das Symposium „Diva – Die Inszenierung der übermenschlichen Frau“ war einee Idee der Musikwissenschaftler Dörte Schmidt, Rebecca Grothjahn und Thomas Seedorf. Realisiert hat sie die Stuttgarter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, unterstützt von der dortigen Staatsoper. Es ging um die Fragen: Was ist eine Diva? Wen oder was haben Diven beeinflusst? Und: Wie macht man Diven?

Fest steht, dass eine Diva weit mehr ist als ein exzentrischer Star, der im Vertrag stehen hat: keine Treppen im Bühnenbild! Auch so schöne Kategorien wie „Kontinuität des Erfolgs“ und „Allüren“ müssen nicht auf jede Diva zutreffen. Doch eines haben sie gemeinsam: ihre Unverwechselbarkeit. Marketingtechnisch gesagt, ein „Alleinstellungsmerkmal“. Wer so etwas hatte? Der Kastrat Farinelli etwa, der sein Publikum mit hoher Frauenstimme zur Ekstase trieb. Oder die Ballerinen des romantischen Balletts, Marie Taglioni und Fanny Elssler, die ihr Publikum in zwei erzfeindliche Lager spalteten. Sarah Bernhardt und Eleonora Duse waren durch ihre vielen Reisen die ersten Weltstars. Und bei den Sängerinnen darf man sich streiten, ob die exklusiv vor Prälaten auftretende Neapolitanerin Adriana Basile, die unkonventionelle Adelina Patti oder Jenny Lind, die schwedische Nachtigall, frühe Diven oder bloß Vorläuferinnen des Phänomens waren – der große Boom jedenfalls begann im frühen 19.Jahrhundert und endete im späten 20., mit der Callas. Sagen die einen.

Dagegen kürte Francesco Araiza, ehedem selbst Starsänger und inzwischen Professor in Stuttgart, unter Protest seiner Kollegin Julia Hamari die schwedische Wagner-Interpretin Birgit Nilsson zur letzten Diva: schon allein, weil deren Fans vier Millionen Dollar für ihre Steuerschulden aufbrachten, obwohl sie längst nicht mehr auftrat. Höchst realer Ausdruck der im Grunde fiktiven Beziehung zwischen Publikum und Diva.

Die Berliner Wissenschaftlerin Christina von Braun schürfte kulturhistorisch tief, begann beim Alphabet und erklärte zur Aufgabe der Diva, das Auseinanderfallen von Laut und Schrift – auch: männlich und weiblich, christlich und semitisch – zu überwinden: „das Weib als Klang“. Die Sopranistin scheint dem Göttlichen ohnehin besonders nah, weshalb Opernsängerinnen prädestiniert sind für den Ehrentitel einer Diva-Divina. Auch Elisabeth Bronfen, Spezialistin für weibliche Opernleichen, bemühte zur Definition Übermenschliches: „In der Reibung zwischen Persönlichkeit und Image entstehen der himmlische Ruhm und das höllische Leid, mit denen sie uns bezaubert.“ Göttin, Königin oder bloß ein Unfall im Starsystem? Die Erhöhung birgt auch die Gefahr des Absturzes, meist des privaten. Wer schafft es schon, beruflich eine Göttin zu sein und privat Mensch zu bleiben? Diven sind auffällig oft unglücklich und einsam, man denke nur an die Garbo mit ihrem „Gesicht aus Schnee und Einsamkeit“ (Roland Barthes), an Marilyn Monroe und ihre zerstörerischen Selbstzweifel, an die Callas und ihre tragische Onassis-Affäre.

Auf der Suche nach tpyischen Charaktermerkmalen ergibt sich neben Leidenschaft und einem unbedingten Willen (dem „être quelqu’un“ einer Sarah Bernhardt) vor allem: Verletzlichkeit. Diven gehen ein hohes Risiko ein mit ihrer Kunst, sie verausgaben sich, gehen an Grenzen. Das Publikum reagiert darauf mit Begeisterung und dem Aufbau einer wechselseitig narzisstischen Beziehung.

Mythos statt Wahrheit, Distanz und Nähe, Verheißung und Zurückweisung, Verehrung und Verachtung – all diese Ambivalenzen gehören zur Diva. Durch ihre besondere Stellung als öffentliche Person diente sie nicht nur in vergangenen Epochen als Heilige und Hure. Madonna etwa nahm diese Klischees auf und spielte damit. Die heutige Diva – nichts als eine Nachahmungskünstlerin?

Anna Netrebko, die angeblich erste Diva des 21.Jahrhunderts, ist das Produkt einer enormen Vermarktungsmaschinerie. Netrebko singt in Berlin oder Köln vor einem Massenpublikum, und allein die Masse wird zum Ereignis: eine einzige Feedbackschleife. Wie bei der MoMA-Ausstellung in Berlin, meint der Berliner Theaterwissenschaftler Clemens Risi: „Star war nicht das MoMA, Star war die Schlange.“ Der Box-Office- Erfolg wird wichtiger als die Kunst. Medien können Stars machen, für eine kurze Zeit, keine Diven. Persönlichkeit und Charisma sind nicht erlernbar. Vielleicht wird Exklusivität das neue Merkmal der Diva in unserem Jahrhundert.

Ulrike Kahle

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