zum Hauptinhalt
Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Kultur: Hoch schlagen die Flammen

Rolando Villazón in der Philharmonie.

Bürgerin Merkel und Bürger Sauer stellen sich hinten an. Wenn Tenorstar Rolando Villazón zur Verdi-Gala in der Philharmonie lädt, will auch die berühmteste Wagnerianerin der Republik samt Ehemann dabei sein. Zum Glück ist die Schlange an der Abendkasse übersichtlich – bei Ticketpreisen von 69–139 Euro kommen nur wenige Spontankäufer. Auch die Foyers wirken um viertel vor acht weitgehend verwaist – weil die Fans bereits auf ihren Plätzen sitzen, dem Auftritt ihres Lieblings entgegenfiebernd. Zweifellos auch ein wenig ängstlich angesichts der vielen schlechten Nachrichten in jüngster Zeit. Nach der Krise, nach den zwei Stimmbandoperationen ist zwar zum Verdi-Jahr eine neue CD herausgekommen, die Kritiken von den Liveauftritten Villazóns aber berichten sorgenvoll von anhaltenden vokalen Problemen des Sängers.

Zunächst ist die „Nabucco“-Ouvertüre mit dem Tschechischen National-Symphonieorchester unter der Leitung von Guerassim Voronkov abzuwarten, bevor Rolando Villazón endlich schnellen Schritts das Podium erreicht – und, für dieses Mal, alle Bedenken zerstreut: Frisch klingt sein Organ und vor allem frei, den Spitzenton der Oronte-Arie aus den „Lombardi“ garniert er mit einer aufschießenden Armpirouette. Das heißt, er singt nur das erste Drittel der Nummer und ist nach gerade einmal zwei Minuten wieder verschwunden.

So wird es weitergehen. Erst eine lange Ouvertüre, dann ein kurzes Gesangsstück, weitgehend aus dem Frühwerk Verdis, dazu drei von Luciano Berio orchestrierte Klavierlieder des Komponisten. Doch der nahezu ausverkaufte Saal saugt jeden einzelnen Villazón-Ton begierig ein, berauscht sich an seiner Leidenschaft. Denn der Mexikaner schont sich nicht, gibt alles, con fuoco fortissimo, als wäre nichts geschehen. Jedes Rezitativ eine flammende Rede, jede Arie ein Blick in die aufgerissene Seele. Dabei sieht man ihm an, wie zufrieden er selber ist, dass es heute so gut läuft.

Warum schleicht sich dennoch bald das Gefühl eines gehobenen Kurkonzerts ein? Weil Voronkov die Instrumentalstücke gerne schmissig nimmt, mit viel Tschingderassabum. Und weil Villazón den Ausdruck nie ändert, keine Intimität, keine Innenschau wagt, sondern durchweg den verzweifelt Seufzenden gibt, selbst in der Verdi-Vertonung von „Neige, du Schmerzensreiche“ aus Goethes „Faust“. Je später der Abend, desto länger und länger werden auch seine Haltetöne, effekthascherisch, zirkushaft.

Aber ein Clown der Klassik ist Villazón ja immer auch gewesen. Und den lässt er nun raus, wirft Kusshände rundherum, zupft Rosen aus seinem Strauß, verteilt sie an Damen in der erste Reihe, erscheint zur dritten Zugabe mit einem Bierglas in der Hand, das er fast ex trinkt. Wohl bekomm’s. Frederik Hanssen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false