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Kultur: Höllenhunde auf dem Weg zum Himmel

AC/DC gibt ein Clubkonzert in der Berliner Columbiahalle – und entzaubert seinen Mythos

Rock’n’Roll folgt einfachen physikalischen Gesetzen. Je größer der Raum, desto lauter die Band. Je größer das Publikum, desto bunter die Show. Je größer der Ruf, desto mehr von beidem. Nur die Musik selbst wächst dabei nie mit. Sie hat eine natürliche Größe. Als AC/DC jetzt überraschend in die Berliner Columbiahalle kamen, war das wie der absurde Versuch, einen Elefanten in einen Schuhkarton zu pressen. Denn AC/DC’s natürliches Maß ist die Großarena, das Stadion, sind die wogenden Massen, die das australische Quintett um Gitarrist Angus Young mit seiner krachenden, umstandslosen Song-Dramaturgie in Bewegung setzen. So drängten knapp 4000 Zuschauer nicht ohne Neugier in das als Clubshow deklarierte Sonderkonzert der Rock-Giganten. Sie durften sich schon bald in das Innere eines Gitarrenverstärkers versetzt fühlen. Oder das Innere eines brennenden Schuhkartons – da der Elefant nun einmal drin ist ...

Dass die in jüngster Zeit weitgehend verstummten Hardrock-Heroen überhaupt kamen, liegt an den Rolling Stones. Die haben AC/DC für drei Stationen ihrer Deutschlandtournee als Vorband engagiert. Und so leisten sich die nun auch schon bald 50-jährigen Musiker, die über ihre treue Fangemeinde hinaus immer größeren Kultstatus gewinnen, nebenbei eine kleine Extratour.

Seit Bands wie The Strokes, The Vines oder Surrogat den brachialen „Highway To Hell“- Sound aufnehmen und selbst eine Schaubühnen-Inszenierung („Woyzeck“) das metallisch-dröhnende Lärmgewitter von AC/DC zur Untermalung von seelischen Schockmomenten benutzt, wird die Band als Urquell einer von modischen Strömungen bereinigten Rock-Erfahrung wiederentdeckt. Ehrlich, trocken, windungsarm, voluminös. In ihr hat sich etwas von der ungestümen Einfachheit eines Genres erhalten, das sich oft in ausgefeilte, artistische und ziemlich groteske Song-Architekturen flüchtet. AC/DC brauchen das nicht. Sie sind trivial auf höchstem Niveau. Es reicht bereits, dass jemand Angus’ markante Gibson-Gitarre über die Bühne und an der aufgestapelten Boxenwand entlang trägt, um ein tobendes Erwartungsgeheul zu entfachen.

Dann kommt er selbst: in der zu engen Schüler-Uniform, was sonst?, an der Seite seines Bruders Malcolm und mit Sänger Brian Johnson, die sich aber gleich irgendwohin verdrücken, weil sie ohnehin nur Nebendarsteller sind. Es ist dieser kleine Wicht in kurzen Hosen und weißen Söckchen, der mit zuckenden Knien und panisch aufgerissenem Gesicht die Riff-Maschine der Band in Gang setzt, sie vorantreibt und kontrolliert, bis sie nach über zwei Stunden in Mark erschütternden Böllerschlägen erstirbt.

Zum Auftakt von „Hells Bells“ dröhnt eine Glocke an der Hallendecke, und Angus’ klirrende Akkordzerlegung stürzt in einen hypnotischen Schwingungstaumel. Das ist magisch, weil der Druck weniger die Ohren belastet als in die Sinne fährt. Ansonsten spult die Band ihre Hits ab, peitscht mit eng gesetzten Gitarren durch „Thunderstruck“, schwelt im „Bad Boy Boogie“. Johnson nötigt seinem Organ quälend kreischende Töne ab, die wie Würgelaute klingen. Dass niemand sie versteht, spielt keine Rolle bei einem Publikum, das sämtliche Texte auswendig mitsingt.

Die Band spielt am Limit. Zwischen den Stücken versammelt sie sich am Schlagzeug, um Luft zu holen, und Johnson macht Scherze wie einer, dem die Erschöpfung weiße Flecken ins Gesicht treibt, die keiner sehen soll. Nur einem scheint der Radau nichts anhaben zu können – Angus Young ist wie eingenäht in diese Welt aus Lärm und Energie. Und während er „Rock And Roll Ain’t Noise Pollution“ anstimmt, fühlt man sich an eine Bemerkung von Vater Young erinnert, der nach einem Konzert seines Sohnes befand: „Ich war in Monte Cassino, als die Amerikaner das Ding plattmachten, und ich war in El Alamein, als wir Rommel mit unserem Trommelfeuer zurückschlugen, aber so etwas Lautes wie das hier habe ich noch nie gehört.“ Am Ende donnern vier Kanonen los – Tribut an die Götter.

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