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Kultur: Hüllen aus Nichts

Die Berliner Akademie der Künste erkundet die Orte und Räume der Kunst

Der Künstler springt gegen die Wand, versucht sie zu durchbrechen. Es gelingt nicht – immer wieder strauchelt er. Er murmelt Sätze, flucht, nimmt erneut Anlauf. Die Wand steht schwarz und stumm. Eine endlose Arbeit, sinnlos. Die Videoinstallation „Wall Piece“ (2000) des amerikanischen Künstlers Gary Hill zeigt eindringlich, wie gute Kunst gegen ihre eigenen Bedingungen anstürmt. Der Betrachter steht in der Blackbox, ein Stroboskop, das auf die Leinwand gerichtet ist, gibt dem Drängen des Künstlers eine heroische Anmutung. Der Betrachter weiß: Es kann nicht gelingen. Ohne Raum keine Kunst.

Hills Videoarbeit ist im Neubau der Akademie der Künste mit seinen freigelegten, schrägen, durchsichtigen Wänden zu sehen. Seit fast zwei Jahren ergänzt diese Adresse am Pariser Platz den Sitz im Tiergarten. Jetzt zeigt man zum ersten Mal eine Ausstellung mit 43 Künstlern, die beide Häuser einbindet: „Raum. Orte der Kunst“. Ganz grundsätzlich soll auf den Raum als wichtigste Kategorie von Kunst fokussiert werden: auf das vom Rahmen Begrenzte, das Atelier, den White Cube, die Blackbox. Ein ambitioniertes Unterfangen, denn streng genommen, wirft doch jedes neue Werk Fragen des Raumes auf: raumbezogen, raumverneinend, raumdefinierend, raumerfindend.

Das Kuratorentrio aus Robert Kudielka, Angela Lammert und Matthias Flügge nimmt dennoch – ähnlich Gary Hills heroischem Künstler – erneut Anlauf für einen eigenen Ausflug durch die Topografien künstlerischer Praxis des 20. Jahrhunderts. Ihre These lautet, dass der Ort moderner Kunst fragwürdig wurde, da sie den traditionellen Repräsentationsauftrag verloren hat.

Der erste Ausstellungsraum im Hanseatenweg zeigt die Öffnung neuer Horizonte durch Fotografie und Film. Der Besucher tritt ins Dunkel, wie am Beginn einer Schöpfungsgeschichte, und sieht Meer und Meerestiere, die der Wissenschaftler Jean Painlevé um 1930 aufnahm. Unentdeckte Räume öffneten sich, Zeit und Bewegung im Raum ließen sich mit den neuen Medien sezieren, etwa wie es Albert Londe mit seinen berühmten Chronofotografien von laufenden, springenden Menschen getan hat. Auch anhand von Londes Röntgenaufnahmen kann man dem neuen rasanten Weltgefühl nachspüren, das der Fortschritt mit sich brachte.

An diese Erschließung des Wahrnehmungsraumes knüpfen die Experimente Medardo Rossos oder Man Rays mit seinen objets mathématiques an, ebenso die Collagen von John Heartfield und Marcel Duchamp, die in einem „montierten Raum“, wie es hier heißt, die Welt zerlegen und neu zusammensetzen. Die kunstgeschichtliche Erzählung dieser Ausstellung, die mit erstaunlich wenigen Skulpturen und Installationen auskommt, setzt sich in insgesamt acht Kapiteln fort. In einem „bildnerischen Raum“, den Künstler wie Picasso, Matisse, Max Ernst erschufen, über den „leeren Raum“, der nun als Qualität entdeckt wird, bis zum „sozialen Raum“, den Künstler wie Gordon Matta-Clark kartografieren und mit architektonischen Interventionen durchstoßen.

Die eine oder andere Arbeit möchte man gerne in andere Kontexte hineintragen. Die Felgen-Speichenkonstruktionen des Niederländers Constant, die unter dem Titel „Fiktiver Raum“ ausgestellt sind, würden hervorragend antworten auf die „Statue aus Nichts, aus Leere“, die Picasso mit seinem Denkmal für Guillaume Apollinaire im Sinn hatte, das hier unter dem Stichwort „Bildnerischer Raum“ gezeigt wird. Auch wäre es aufschlussreich gewesen, die Linie vom Zerhacken der Zeit über Konstruktion und Dekonstruktion der Formen bis zur Konzeptkunst zu verfolgen, diesem radikalsten Versuch der Entmaterialisierung.

Die Ausstellung hält sich jedoch an das Anschauliche. Der Künstler bleibt an den Raum gekettet wie Prometheus an den Felsen. Am sensationellsten sprechen die Atelierwände Alberto Giacomettis und Piet Mondrians vom künstlerischen Gegen-die-Wand-Rennen. Giacometti benutzte die Mauern, die hier nun vor der Erstpräsentation in Paris ausgestellt sind, für Skizzen. Sein wilder Gestus wirkt wie ein Durchbruchversuch. Mondrian hingegen versuchte seine Atelierwände hinter einer überlegten Komposition aus Farben und Formen zu vergessen.

Immerhin gelingt es der von Symposien umrahmten Ausstellung, solch gegensätzliche Strategien sichtbar zu machen. Erfreulich also, dass sie endlich realisiert werden konnte. Denn erst wurde die Eröffnung des Neubaus am Brandenburger Tor immer wieder verschoben, dann erwiesen sich die Räume am Pariser Platz als nicht klimatauglich für die wertvollen Exponate. Zwar mussten die Ausstellungsmacher aus raumklimatischen Gründen weitere Kompromisse eingehen, mussten umstellen und neu planen. Doch so erzählt dieses Hin und Her von Entwurf und Verwerfung eine eigene Geschichte vom Raum, eine weitere Anekdote von der Bedingtheit der Kunst.

Akademie der Künste Berlin, Hanseatenweg und Pariser Platz, bis 22. April. Di bis So, 11 – 20 Uhr. Katalog 40 €.

Daniel Völzke

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