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Kultur: Hunger nach der nackten Wahrheit über den Menschen - Sonderausstellung zum Werk der Namenspatronin

Ein Schädel taucht aus Druckerschwärze auf und schwingt die Geißel des Todes, als hätten wir es mit einer mittelalterlichen Apokalypse zu tun. Dabei hat Käthe Kollwitz die Holzschnitt-Serie "Hunger" im Jahre 1925 in Berlin geschaffen, als der Erste Weltkrieg schon weit zurück lag, die Weimarer Republik gerade die Künste zum Blühen brachte und der politische Umschlag zu Wirtschaftskrise und fataler Arbeitslosigkeit nur erahnbar war.

Ein Schädel taucht aus Druckerschwärze auf und schwingt die Geißel des Todes, als hätten wir es mit einer mittelalterlichen Apokalypse zu tun. Dabei hat Käthe Kollwitz die Holzschnitt-Serie "Hunger" im Jahre 1925 in Berlin geschaffen, als der Erste Weltkrieg schon weit zurück lag, die Weimarer Republik gerade die Künste zum Blühen brachte und der politische Umschlag zu Wirtschaftskrise und fataler Arbeitslosigkeit nur erahnbar war.

Die Kollwitz schuf ihr Werk in Anlehnung an sakrale Vorbilder in Form eines Triptychons; das obige Motiv bildet den mittleren Teil, die Seiten zeigen eine arbeitslose Familie vor dem Nichts sowie eine Frau mit einem kleinen Sarg als Zeichen für das damalige Kindersterben. Die Künstlerin wählte dafür die altmeisterliche Technik des Holzschnitts, der die Figuren mit ihren scharfen Linien zwischen Realismus und Expressionismus ansiedelt. Ihre wichtigste Inspirationsquelle fand sie in alter Kunst; die von ihr gewählten Themen waren zu allen Zeiten virulent: das Elend der Armen, Krieg und Tod. Kunstinterne Debatten waren dagegen kein Thema für die Kollwitz; sie wollte stattdessen menschlicher Existenz in Not Ausdruck verleihen. In ihrem Werk finden sich Mütter, Kinder, Männer - Familien also und nicht Gesellschaftsmenschen oder politische Funktionsträger, wenn auch von ihr ein Gedenkblatt für den ermordeten Karl Liebknecht stammt.

Das Berliner Kollwitz-Museum zeigt nun die intensive "Hunger"-Serie. Darin wird die Unruhe spürbar, mit der die Künstlerin per Hand mit Tusche und Deckweiß noch in die Druckzustände hineingearbeitet hat, bevor Gevatter Tod über einem gähnend schwarzen Abgrund erscheint, in dem sich gebeugte Leiber ineinander verschlingen und ziellos durch den Raum treiben.

Als Käthe Kollwitz diese bewegende Serie schuf, war sie beinahe sechzig Jahre alt und hatte mit ihrem sozialen Engagement künstlerisch Karriere gemacht. Inspiriert durch Gerhart Hauptmanns Stück "Die Weber" hatte sie einen Lithographien-Zyklus geschaffen, für den sie 1898 auf der Großen Berliner Kunstausstellung mit einer Goldmedaille ausgezeichnet werden sollte, was Kaiser Wilhelm II. allerdings persönlich verhinderte. Erst nach seiner Abdankung und der Ausrufung der Republik wurde die Kollwitz als erste Frau in die Preußische Akademie der Künste aufgenommen. In den folgenden Jahren entstanden Holzschnitte und Plakate im Auftrag verschiedener politischer und wohltätiger Organisationen. 1933 wurde die Künstlerin von den Nazis aus der Akademie gedrängt; im gleichen Jahr verlor sie ihr Lehramt für Grafik. In der Ateliergemeinschaft Klosterstraße konnte sie sich ihr künstlerisches Exil einrichten.

Im Rahmen der Ausstellung erscheint erstmals auch der neue Katalog über das Gesamtwerk der Kollwitz, den Museumsdirektor Martin Fritsch herausgegeben hat. Neben einem Überblick zu Zeichnung, Grafik und Plastik werden darin ausführlich die verschiedenen Techniken und Werkmaterialien erklärt sowie die Einzelarbeiten mit Dokumenten aus dem Leben der Künstlerin und erläuternden Kommentaren versehen. In einem eigenen Essay beschreibt Annette Seeler den Werdegang der Kollwitz und wie private Erschütterungen, die zugleich gesellschaftspolitische waren, auch ihr künstlerisches Schaffen beeinflussten: darunter der Tod des Sohnes Peter im Ersten Weltkrieg, der sie zum "Gefallenenehrenmal" inspirierte. In diese Werkreihe gehört auch die kleinformatige Bronze-"Pietà" von 1937/38, deren vielfach vergrößerte Nachschöpfung durch den Bildhauer Harald Haacke 1993 in der Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland, der Neuen Wache Unter den Linden, aufgestellt und seinerzeit heftig diskutiert wurde. Die Rückbesinnung auf das Original zeigt erneut, wie sehr mit diesem Akt der öffentlichen Monumentalisierung das Anliegen der Kollwitz missinterpretiert wurde. Leider beantwortet der Katalog keine Fragen nach dem heutigen Umgang mit dem Werk der Künstlerin und versäumt es außerdem, ihre Arbeiten in Bezug zum Kunstgeschehen ihrer Zeit zu setzen. Auf der soliden Grundlage einer solch umfänglichen Publikation wäre dies als nächster Schritt eigentlich fällig gewesen.Käthe-Kollwitz-Museum, Fasanenstraße 24, bis Ende April; Mittwoch bis Montag 11-18 Uhr. Katalog (E. A. Seemann Verlag, Leipzig) 54 Mark.

Katja Reissner

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