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Kultur: Hurra, wir leben noch!

Gute Zeiten für Sänger: Das Musiktheater der Hauptstadt hat in dieser Spielzeit an Profil gewonnen

Sie werfen sich mächtig in die Brust. „Wo gibt’s das sonst?“, fragte vor kurzem die erste große Anzeigenkampagne der Berliner Opernstiftung und klotzte gleich mit Stars und Stücken, Komponisten und Vorstellungszahlen. Wo noch vor zwei Jahren Wundenlecken und Eifersuchtsdramen an der Tagesordnung waren, wird jetzt der dreieinige Schulterschluss demonstriert und gute Stimmung für den Aufschwung gemacht.

Allerdings war der Input nie das Problem der drei Häuser. Zum regelmäßigen „Ärgernis des Jahres“ in der jährlichen Kritikerumfrage der Fachzeitschrift „Opernwelt“ war Berlin eher dadurch geworden, dass dem gewaltigen Aufwand nur ein äußerst magerer künstlerischer Ertrag gegenüberstand. Diesmal dürfte Berlin aber kaum die rote Karte gezeigt werden. Denn trotz anhaltenden Sparzwangs ist es den drei Häusern gelungen, ihr künstlerisches Image in der am Sonntag zu Ende gehenden Spielzeit kräftig aufzupolieren. Die Bilanz nach zwanzig Musiktheaterpremieren verwandelt Berlin zwar nicht in ein neues Opernparadies, macht aber im nationalen Vergleich eine gute Figur. Denn während München in der Saison 2004/2005 hauptsächlich durch den Abfindungspoker des BeinaheIntendanten Christoph Albrecht von sich reden machte und sich Hamburg sowie Stuttgart auf alten Lorbeeren ausruhten, hat sich Berlin musikalisch wieder ins Spiel gebracht.

Vor allem die Komische Oper hat mittlerweile gute Chancen, zum impulsgebenden Regietheater der Republik zu werden. Intendant Andreas Homoki und seinem Castingdirektor Per Boye Hansen ist es gelungen, ein Ensemble von Sängerdarstellern aufzubauen, das einerseits eine Alternative zum gesangsfixierten Startheater bietet und andererseits den Ensemblegedanken vom Ruch des Provinziellen befreit hat. Persönlichkeiten wie Jens Larsen, Christoph Späth, Sinead Mulhern und Anne Bolstad sind es, die selbst schwächere Produktionen (wie Homokis „Ewgenji Onegin“) tragen. Stärker noch als die Regisseure selbst stehen sie für ein modellhaftes Musiktheater des 21. Jahrhunderts ein. Erfolge wie Barrie Koskys turbulente „Hochzeit des Figaro“ und Hans Neuenfels’ Version von Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ zeigen, dass die Kluft zwischen den guten Absichten und klugen Gedanken der Regisseure und der Realität des Bühnenalltags nur durch einen Sängertyp geschlossen werden kann, der das Theater als Herausforderung begreift. Nachdem die Renaissance des Dramaturgentheaters an der Stuttgarter Oper das Leitbild der letzten Jahre war, hat das vitalisierte Ensembletheater der Komischen Oper gute Chancen, zum neuen Ideal zu avancieren.

Die größere Öffentlichkeitswirkung hat allerdings immer noch die Lindenoper, die in ihrer Mischung aus maroder Substanz, großer Tradition und fragwürdigem Hype die Befindlichkeit Berlins en miniature zu verkörpern scheint. Die Diskrepanz von Schein und Sein trat am deutlichsten an Bernd Eichingers von beispiellosem Medienrummel begleiteten „Parsifal“ zu Tage. Eine Produktion übrigens, die nur zwei Mal zu Festtagspreisen und somit quasi unter Ausschluss der Berliner Opernöffentlichkeit gezeigt wurde. Das mag man unsympathisch finden, doch immerhin ist es Intendant Peter Mussbach gelungen, das etwas abgeblätterte Traditionsimage seines Hauses markant zu modernisieren. In den von ihm selbst szenisch betreuten Uraufführungen wie Toru Takemitsus „My way of life“ und Hans Zenders „Chief Joseph“, aber auch in Produktionen wie Monteverdis „Ulisse“ (Regie: Immo Karamann) und Sasha Waltz’ „Dido and Eneas“, hat die Lindenoper in dieser Saison kräftig an der Neudefinition des luxuriösen Opernabends gearbeitet. Die Stars tragen nicht mehr Plüsch, sondern Prada und verhandeln Probleme light. Das taugt freilich ebenfalls als Identifikationsmodell – wenn auch nur für die Opernbühnen finanzstarker Metropolen.

Die Frage, ob und wo zwischen diesen Polen noch Platz für ein drittes Opernhaus ist, hat diese Saison allerdings nicht beantworten können. Auch weil die Deutsche Oper selbst in ihren vier Neuproduktionen nichts Richtungweisendes hervorbrachte und die Misere der letzten Jahre lediglich fortgeschrieben hat. Liegt die Zukunft von Berlins größter Bühne in der Erneuerung von innen – nach dem Vorbild der Komischen Oper? Oder in einer aufpolierten Oberfläche – nach dem Muster der Staatsoper? Intendantin Kirsten Harms hält sich, paralysiert durch die Planungen ihrer Vorgänger, bislang mit programmatischen Ansagen zurück. Lange wird sie das nicht mehr können.

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