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Kultur: Hut auf!

Überall blüht der 20er-Jahre-Jazz wieder auf. Auch junge Berliner Bands haben sich ihm verschrieben

Der Hut ist das wichtigste Accessoire der Old Fish Jazz Band. Fast alle Mitglieder tragen einen. Schwarz, mit einer Feder oder einer Wäscheklammer geschmückt und meistens verbeult, ist er das stilistische Markenzeichen ihrer inneren Haltung. Dazu gehören außerdem: ausgeleierte Anzughosen, Hosenträger, weißes oder kariertes Hemd, Lederschuhe mit Patina. Soll heißen: andere Zeiten, andere Werte.

Der Hut dient aber auch als Sammelbüchse. Nach jedem Konzert geht er herum, ob auf der Straße oder in einer Bar: „Fünf Euro wäre wunderbar“, rufen sie dann im Verbeugen. Alle Zuhörer sind potenzielle CD-Käufer, Konzertbesucher, Daseinsunterstützung im Hier und Jetzt.

Seit 2009 spielt die achtköpfige Truppe in Berlin, vor allem in Kreuzberg und Neukölln. Auf der Straße und in Bars, immer Swing und Ragtime, Old Jazz der 20er und 30er Jahre, abgehört von alten Platten. „In den supermodernen Jazzschulen in New York unterrichten sie, wenn überhaupt, den Bebop der 40er und 50er“, erklärt Carlos, 28-jähriger Pianist aus Andalusien, vor einem Konzert im Soul Cat in der Reichenberger Straße. Er zwirbelt an seinem Schnurrbart, begrüßt Bekannte, rückt den Hut zurecht.

In der Musikkneipe ist es gerammelt voll, die Band spielt zwei Sets, unterstützt von der quirligenWaschbrett-Spielerin und Sängerin Jessy Carolina, die für drei Monate aus New York gekommen ist. Etwa 50 Leute drängen sich vor die kleine Bühne, versuchen zu tanzen, wippen heftig mit, sogar auf der Straße steht Publikum, schaut durch die tiefen Fenster, klatscht von draußen. Die vordere Abdeckung des Klaviers ist abgebaut, auf dem Instrument sitzt lässig Bots, der 28-jährige belgische Trompeter, blonde Strubbelhaare, immer einen Witz auf den Lippen. „Bringt mir ein Bier!“, ruft er in Richtung Theke. Und es wandert durch viele Hände.

Die Old-Fish-Mitglieder leben für die Musik. Besser: Sie leben die Musik. Jeder gehört verschiedenen Formationen an, von denen gibt es in Berlin so einige. So bleiben sie im Rhythmus, setzen unterschiedliche Akzente, bleiben familiär und doch unabhängig, nichts ist für immer. Neben Old Fish sind das zum Beispiel: Tik Tok Laboratories, Les Haferflocken Swingers, Too Dumb to Die, Cyclown Circus, jetzt umbenannt in Good Night Circus. Letztere Kombo reiste früher radfahrend durch die Welt, verbindet Zirkus und Musik – die Keimzelle, aus der alles weitere entstand. „Es ist wie eine Mafia“, lacht Johannes, Bassist aus Lyon, 27 Jahre, großgewachsen, besonnen. Weil die Nachfrage steigt, spielen sie jetzt auch schon im Heimathafen Neukölln, im Festsaal Kreuzberg, im Wintergarten. Auch auf privaten Festen - aber nur, wenn mindestens zwei ihrer Bedingungen erfüllt sind: Freunde, angenehmer Ort, Geld.

Wenn die Kasse leer ist, verabreden sie sich zur Straßenmusik, treten beim türkischen Markt am Landwehrkanal auf oder neulich am Hackeschen Markt. „Die Straße ist unser Jobcenter“, fasst Johannes zusammen. Alle nicken, auch wenn es ihnen ein bisschen unangenehm ist, über die Straßeneinnahmen zu sprechen. „Wir verraten hier nicht unsere Geheimnisse,“ lenkt Carlos ab. Zum Glück braucht man in Berlin keine Genehmigung, um ohne Verstärker eine Stunde lang draußen zu spielen, es ist unkompliziert.

Vor allem im Sommer kommen Touristen aus aller Welt; also braucht die Stadt Musiker. Zudem sei da dieser SwingDance-Hype: Die Old Fish Jazz Band spielt ja auch zum Tanz auf. Problematisch sei nur dieser unausstehliche Berliner Winter. „Wir sind dann weg“, verkündet Bots schelmisch, bevor er sein Instrument auspackt und sich mit ein paar Läufen warmspielt. „Johannes und ich gehen nach Afrika.“ – „Und ich nach Italien“, ergänzt Carlos. Die Stimmung ist gelöst und locker, wie die Songs, die mit ihren rasanten Tempi und ineinandergreifenden Soli gute Laune machen.

Die handgemachte, traditionelle Unterhaltungsmusik mit Banjo, Ukulele, Bass, Akkordeon, Blasinstrumenten und Gesang lebt bei jungen Musikern wieder auf. Auch und besonders am Geburtsort des Jazz, in New Orleans. Hierhin pilgert die neue Generation und besucht dortige Bands. Die Old Fish Jazz Band war schon mehrmals dort, um „angeheizt“ zu werden. Ein anderes Zentrum der internationalen Szene ist New York. Dort trafen sie auf Jessy Carolina. Die in Venezuela geborene Sängerin ist eins der Bindeglieder zur vielfältigen Berliner Szene: Früher sang sie klassischen Sopran im Mädchenchor, nun aber, nach zwei Jahren mit sechs Auftritten pro Woche, ist ihre Stimme rauchig und rau geworden. Sie hält sich gerade in Europa auf, weil sie in Kopenhagen ihr erstes Soloalbum aufgenommen hat. „Jetzt willst du es in der alten Welt schaffen!“, sagt in der Pause einer zu ihr.

In der neuen Welt in New York spielt Feral Foster für die junge Szene eine wichtige Rolle. Der 25-Jährige kuratiert in Brooklyn die wöchentliche Bühnenshow „Roots and Rockus“ im Jalopy Theatre, einer kleinen Bar mit selbst gezimmerten Kirchenbänken, Musikkursangebot und Instrumentenladen. Foster gilt wie kein anderer als Entdecker neuer Talente des alten Stils. Gerade ist er zum ersten Mal in Berlin – und besucht natürlich ein OldFish-Konzert. „Es geht um mehr als um Jazz“, erklärt er. „Diese Musik ist so alt, dass sie wieder neu ist. Viele Leute, die früher Punk spielten, spielen jetzt dieses alte Zeug. Es ist eine Gegenbewegung. Immer, wenn die Zeiten unsicher sind, sehnen sich die Menschen nach den alten Sachen. Volksmusik erlebt immer ein Revival, wenn der Nationalismus erstarkt.“

Feral Foster sitzt auf einem Hausvorsprung vor dem Soul Cat, seine dunklen Haare baumeln über die energisch zusammengezogenen Augenbrauen, das Hemd ist wie beiläufig aus der Hose gerutscht, während er erklärt: „Es gibt eine Musikrenaissance auf beiden Seiten des Atlantiks. Ein Instrument zu lernen, gilt für viele als eine Form der Rebellion. Diese gesamte Bewegung ist eine Reaktion darauf, dass heute alles digitalisiert und bearbeitet ist.“ Es sprudelt nur so aus ihm heraus, er brennt. Unvermittelt steht er auf, geht wieder in die Bar. Das Konzert geht weiter.

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