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Kultur: Ich bin ein Somnambuler

Der Maler Neo Rauch über den Bilderboom und seine Liebe zu Leipzig

Herr Rauch, Sie sind einer der gefragtesten deutschen Maler und in allen großen Museen der Welt vertreten. Gibt es trotzdem noch angstvolle Momente vor einer neuen Ausstellung?

Es ist wie in der Schauspielerei: Wer kein Lampenfieber mehr kennt, wird schlecht. Übertragen auf unser Metier heißt das: Wer seinen eigenen Ausstellungen nicht mehr entgegenzittert, der ist in einer kritischen Lage. Zumal beim Heimspiel, wo man gerade nicht auf Händen getragen wird wie beim Fußball, sondern wo die Kritiker und Antagonisten besonders dicht gestaffelt auftreten. Eine Bauchlandung wäre umso fataler.

Auf Ihnen als Vater der Neuen Leipziger Malerschule ruht gerade in Leipzig ein besonderer Erwartungsdruck. Lässt sich so etwas beim Arbeiten ignorieren?

Nein, ich kann das nur in besonders glücklichen Momenten ausblenden. Die Frage ist, wie ich mich dazu verhalte: Ob ich diese Prädikate annehme, ob ich mich geschmeichelt fühle.

Stimulieren Etiketten?

Mit dieser stromlinienförmigen Verpackung, durch die sich der ganze Kram auch in Windeseile entsorgen lässt, ist niemandem geholfen. Gruppenbildungen sind mir ein Gräuel. Mir ist unangenehm, wenn eine Gemeinschaft durch Parolen aneinandergeschmiedet wird. In Wahrheit ist die Leipziger Situation hochgradig heterogen. Das einzige verbindende Element ist die Tatsache, dass hier Qualität entsteht, aber von sehr unterschiedlichem Zuschnitt.

Haben Sie deshalb die Professur an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst als Nachfolger von Arno Rink angenommen: um die Qualität zu sichern und eine Verantwortung wahrzunehmen, die Ihnen ohnehin aufgebürdet ist?

Aus professioneller, kommerzieller Sicht ist das zwar töricht, aber die Zurauner meinten: Wer, wenn nicht du? Die Gefahr, dass eine Hochschule mit völlig neuen ideellen und kulturellen Voraussetzungen aus dem Boden gestampft worden wäre, war enorm groß. Nicht, dass ich ein Feind alles Neuen wäre. Aber ich schätze das besondere Klima am angestammten Ort, schon 80 Kilometer weiter wäre die Kunst anders. Wenn man hier eine durchgängige Rheinlandisierung vollzogen hätte, wäre die Hochschule eine Allerweltsinstitution.

Was raten Sie denn Ihren Schülern, die vermutlich wie Ihre Vorgänger an der Akademie raketengleich reüssieren wollen?

Ich rate ihnen lauter Dinge, die ich am eigenen Leibe erproben konnte, nur unter anderen Bedingungen. Wenn ich ihnen sage „Lasst euch Zeit, lasst nicht zu früh zu viele schlechte Galeristen in eure Ateliers, nehmt nicht zu früh an zu vielen schlechten Gruppenausstellungen teil“, dann sagt das einer, der im gleichen Alter diesen Versuchungen nicht ausgesetzt war – weil es das nicht gab. Aber wie erschafft man eine Atmosphäre der Kontemplation, wenn ringsum nicht nur der Bär tanzt, sondern ein ganzes Batallon? Deshalb halte ich das Prinzip des Einzelunterrichts für unschlagbar, bei dem ich jeden Einzelnen subtil dirigieren kann.

Betrachtet man das Inventar Ihrer Bilder, so scheint vieles aus der DDR-Zeit überliefert: die Uniformen, die neomodernen Architekturen, die gravitätischen Handlungen wie aus einer offiziellen Anleitung für Verhaltensregeln. Woraus speisen sich heute Ihre Bildwelten?

Aus allem, was mir im Lauf der Jahre zugespült wird. Wenn sich eine solche Zureichung einmontieren lässt, dann ist sie willkommen, ganz gleich woher. Das können sogar polynesische Einflüsse sein; es hängt davon ab, was aus der Dielenritze vor mir emporquillt, welche Art Film heraufbeschworen wird zwischen mir und der Realität. Ich bin zwar Regisseur mit stählerner Faust, aber bis ich die zum Einsatz bringe, bin ich ein Somnambuler. Einer, der eher gleitet und schwebt, als dass er energisch dazwischenfährt.

Das klingt nach den Methoden der Surrealisten, die vieles aus dem Unbewussten hochkommen ließen und es dann in neue überraschende Konstellationen brachten.

Im Unterschied zu jenen bin ich an einer Erzählstruktur interessiert, die sich bis auf Restbestände lesen lässt, geradezu im Sinne eines Textes. Aber den werde ich nicht verlesen, weil ich das sonst nicht malen müsste.

Resultiert daher auch der Erfolg Ihrer Malerei: dass Sie dem Betrachter eine mögliche Geschichte an die Hand geben?

Das kann sein. Aber die entscheidende Frage lautet: Ist es gut gemacht? Schlecht gemachte Bilder brauchen wir nicht mehr, hinter denen kein revolutionärer Gestus mehr erkennbar ist. Wahrscheinlich bin ich inzwischen subversiver – obendrein erzählerisch, was bis vor kurzem als obsolet galt. Das wollte niemand mit der Kneifzange anfassen. Und daraus bezog ich meine Kraft, nach dem Motto: „Wenn ihr das alles nicht wollt, dann ist es angezeigt, genau das zu liefern.“

Erfüllt es Sie mit Sorge, dass sich die Situation jetzt umgekehrt hat?

Ein bisschen seltsam ist es schon, denn der Boom war in dem Maße nicht zu erwarten. Als in den schwarzen Flimmerkisten der Medien-Biennalen, der Kunst-Biennalen kein einziger Malereibeitrag zu finden war, sagte ich: „Ihr tötet hier das Medium, das ihr gerade feiert – durch Maßlosigkeit. In wenigen Jahren werdet ihr in Malerei ersaufen, wenn ihr so weitermacht!“ Das ist ein Naturgesetz. Jetzt ist mir das zu viel. Trotzdem leite ich daraus keinen Wandel meiner Strategie ab, denn ich bin auf existenzielle Weise verwoben mit dem, was ich tue.

Empfinden Sie sich als deutscher Maler?

Genau genommen: als mittelostdeutscher. Ich habe ein waches Sensorium für Orte, ihre Schwingungen, den Kulturhumus und das Potenzial von Dissonanzen. Italien zum Beispiel mangelt es an Letzterem, während in New York die Bilder nur so auf mich einströmen. In Berlin wiederum ist alles zu hip, zu aufgedreht, da muss ich immer schnell wieder weg. Aber mit Leipzig bin ich schicksalhaft verwoben. Ein Zweig meiner Familie kommt von hier, mein Urgroßvater ist ein paar Straßenzüge weiter gestorben. Ich möchte wissen, woher einer kommt, der mir als Künstler entgegentritt. Was soll ich von einem chinesischen Maler halten, der wie Baselitz malt? Es gibt in China jetzt viele Maler, die an die europäische Szene anzuknüpfen versuchen. Das ist eine schreckliche Egalisierung.

Das klingt konservativ.

Was ist eigentlich so negativ an einer konservativen Haltung? In der DDR war ich Indoktrinationen ausgesetzt, denen zufolge das Konservative mit blutrünstigen, reaktionären, kapitalistischen Hyänen verbunden war. Das System selbst definierte sich als progressiv, dabei war es im Gegenteil eine Spießerverschwörung. Wer damit nicht einverstanden war, der musste sich, ohne rückwärtsgewandt zu sein, als Konservativer verstehen.

Das Gespräch führte Nicola Kuhn.

Der Leipziger Maler

Neo Rauch (geboren 1960 in Leipzig) zählt zu den erfolgreichsten

Malern der Gegenwart. Bilder des Begründers der Neuen Leipziger

Malerschule , die den internationalen Malereiboom einleitete, wurden auf den letzten Winterauktionen in New York für 390 000 Dollar verkauft. Von 1986 bis 1990 studierte Rauch an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst bei

Bernhard Heis ig , dessen Assistent er von 1993 bis 1998 war. Heute lehrt er dort selbst Malerei.

Die Leipziger Galerie

Eigent + Art zeigt Rauchs Arbeiten bis 22. 12. unter dem Titel „Der Zeitraum“. Im November folgt im Kunstmuseum Wolfsburg eine Retrospektive. Für 2007 ist eine Schau im New Yorker Metropolitan Museum geplant.

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