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Kultur: Ich bin nicht nur Beobachterin

Was ist Krieg? Carolin Emcke hat ihn beschrieben – in Briefen an ihre Freunde, die sie in Berlin vorstellt

Frau Emcke, in griechischen Tragödien haben die Boten, die von der verlorenen Schlacht und dem Grauen des Krieges berichten, oft das Bedürfnis, sich zu entschuldigen. Kennen Sie diesen Impuls?

Darüber habe ich nie nachgedacht. Als ich die Briefe an meine Freunde zu schreiben begann …

…aus denen nun das Buch „Von den Kriegen“ entstanden ist …

… da tat ich es in dem Gefühl vollkommenen Versagens. Ich glaubte, in meinen Reportagen das Wesen des Krieges nicht ausreichend vermittelt zu haben. Journalistisch waren das saubere Geschichten, aber das reichte nicht. Es lag womöglich an dem Mehrwert des Leids. Ich wusste nicht, wohin mit meiner Erfahrung. Jemand, der von solchen Gegenden der Gewalt erzählt, klingt in unserer Kultur erschreckend grob. Das sprengt natürlich jedes gemütliche Abendessen. Es taugt nicht zur heiteren Anekdote, weshalb man selbst ein wenig verschämt verstummt.

Sie sind in Kolumbien und im Irak beschossen worden und als die Kolonne des Kurdenführers Wagih Barsani von US-Flugzeugen zerstört wurde, saßen Sie nur zufällig nicht in einem der Wagen. Warum riskieren Sie so viel?

Ich verstehe, dass Sie mich das fragen, aber ich selbst stelle mir diese Frage nicht. Wenn Sie eine Flasche umstoßen würden und ich sähe sie vom Tisch fallen, würde ich sie aufzufangen versuchen. Das ist ein Reflex. Es gibt diese vergessenen Weltgegenden, und es gibt dort Menschen, die werden nicht repräsentiert, die haben keine Stimme in der Öffentlichkeit. Und deswegen fahre ich dorthin. Vorort frage ich nicht, welches Risiko ich einzugehen bereit bin. Es ist nämlich überhaupt nicht ersichtlich, welche Entscheidung Risiken beinhaltet und welche nicht. Als ich in Kolumbien war, da habe ich alles richtig gemacht. Das Gebiet war offiziell befriedet, ich hatte eine Genehmigung, ich wartete sogar einen Tag ab und bin schließlich einer Polizeipatrouille gefolgt – was ich normalerweise nie machen würde. Mit dem Ergebnis, dass ich mitten in die Katastrophe hineinfuhr. In die schlimmste Straßenschlacht, die ich je erlebt habe.

Niemand kann Sie auf diese Art von Bürgerkrieg vorbereitet haben.

Das stimmt. Aber der Krieg ist keine monolithe Erscheinung. In ihm hat auch eine ganz sonderbare Heiterkeit Platz. An seinen Rändern, in den Nischen, wird eine Schönheit des Alltags sichtbar, die uns so fremd nicht ist. Außerdem kommen einem viele Kriegshandlungen wie ein Zitat vor – die ethnischen Säuberungen auf dem Balkan, dass die Serben ihre Häuser mit einem Kreuz bemalten, damit sie nicht angezündet wurden. Sowas kennen wir aus dem Alten Testament und aus Geschichtsbüchern.

Kann man Kriege trotzdem nur aus der Nähe verstehen?

Als Philosophin sage ich natürlich: nein. Ich glaube an die Möglichkeit des Einfühlungsvermögens und der Vorstellungskraft. Dass wir die Bedeutung einer Erfahrung nachvollziehen können, auch wenn wir sie selber nicht gemacht haben. Sonst würde ich mich auch nicht auf solche Reisen begeben.

Susan Sontag hat in „Das Leiden anderer betrachten“ die Theorie aufgestellt, dass uns das weltweite Elend nicht berührt, wenn wir es nicht in einen für uns verständlichen Zusammenhang einsortieren können. Teilen Sie diese Auffassung?

Das Buch war für mich sehr wichtig. Als meine Freunde aus meinen Briefen erfuhren, was ich erlebt hatte, sagten sie oft: So haben wir uns das aber nicht vorgestellt. Ich verstand nicht: Da schrieben wir nun jede Woche über dasselbe Thema etliche Artikel, und sie begriffen es erst durch einen Brief. Susan Sontag hat dafür den Schlüssel geliefert. Wenn der Erzähler auftaucht, als Grenzgänger, der zwischen den Welten pendelt, fällt er aus dem hiesigen Kontext nicht heraus.

Aber Sie tauchen in fremde Kulturen ein?

In den Gesprächen vergessen die Leute schnell, dass ich Journalistin bin. Ich teile ja auch ihr Leben, sitze in der Küche, nehme an Hochzeiten teil oder übernachte bei ihnen. Ich bin nicht nur Beobachterin, sondern auch Begleiterin – und Betroffene, wenn der Krieg einen einholt.

Kriegsreporter gelten als zynische Gesellen, die von der Gewalt insgeheim fasziniert sind. Ein Klischee?

Ja. Mich widert Gewalt an und ich kenne niemanden, dem es anders ginge. Trotzdem kehre ich jedesmal auch reicher an Eindrücken zurück. Länder wie Afghanistan können überwältigend schön sein. Die Gastfreundschaft ist beschämend, und es überrascht mich jedesmal, wie selbstverständlich ich sie annehmen kann. Hier ist man ja gewohnt, dass symmetrische Verhältnisse herrschen und Geschenke gleichwertig erwidert werden. Dort bin ich ständig in jemandes Schuld. Als ich aus dem Kosovo zurückkehrte, sagte der Vater einer Freundin, ein Holocaust- Überlebender, als Einziger: Ich wette, es war auch irre lustig. Er hatte Recht.

Das Gespräch führte Kai Müller

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