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Kultur: Ich bin viele

Die Herbst-Fellows der American Academy.

Sage nochmal einer, die American Academy sei nicht selber eine Art Schmelztiegel. Der New Yorker Übersetzer Peter Constantine zum Beispiel, einer der 13 Herbst-Fellows, die sich am Dienstag in der Academy-Villa am Wannsee vorstellten: Der in Athen aufgewachsene Sohn eines britisch-türkischen Vaters und einer österreichischen Mutter übersetzt aus dem Japanischen, Russischen, Griechischen (Alt und Neu!), Deutschen und einigen anderen Sprachen; in Berlin will er an Bulgakow- und Tschechow-Übertragungen sowie bis zu vier weiteren Projekten arbeiten. Oder die Philosophie-Professorin Béatrice Longuenesse, die über den Ich-Begriff nicht nur bei Kant schreibt und erstmals ein US-Stipendium erhält: Seit Juni besitzt die Französin die amerikanische Staatsbürgerschaft. Die Politikwissenschaftlerin Celina Su erforscht die demokratische Teilhabe der Jugend und leitete neben ihrer akademischen Laufbahn ein Birma-Flüchtlingsprojekt. Auch der Literaturwissenschaftler Hans Vaget nennt sich einen Bindestrich-Amerikaner: Er stammt aus Marienbad und schreibt über Thomas Manns Amerika-Liebe und -Desillusionierung im Exil, von 1938 bis 1952.

Der traditionellen Vorstellung der Fellows – drei Minuten für jeden, das aktuelle Projekt inklusive –, geht neben der Begrüßung von Direktor Gary Smith eine Ansprache von „taz“-Chefredakteurin Ines Pohl voraus. Angesichts der Nachrichten von brennenden Flaggen und ermordeten Botschaftern in der islamischen Welt beschwört sie das Zusammenstehen der Demokraten, nicht ohne die deutsche NSVergangenheit und mit gebotener Höflichkeit die Demokratiedefizite der USA erwähnt zu haben. Apropos Islam: Jonathan Lawrence vom Boston College will den Islam in Deutschland erkunden, die Rolle der Religion im Prozess der Integration.

Den Reigen eröffnet hatte HoltzbrinckFellow Joan Acocella, Tanz- und Literaturkritikerin des „New Yorker“. Auch sie eine Grenzgängerin, studiert sie doch gerade das Wesen des Bösen und hat sich für die Zeit in Berlin den Serienhelden Tony Soprano vorgenommen. Wissenschaft als Kunst des Querdenkens: Der Komparatist Daniel Tiffany befasst sich mit dem Kitsch als ästhetischer Kategorie in der Lyrik, der Philosoph Dean Moyar mit der Moral als politischer Kategorie. Und Daniel Albright aus Harvard wagt die Frage, ob es sich bei der Kunst um eine Vielzahl handelt – Literatur, Musik, Theater etc.– oder um ein einziges Phänomen. Was die Künstler unter den Fellows wohl dazu sagen, die Schriftstellerin Heather McGowan und der Collage-Artist Richard Hawkins? chp

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