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Kultur: Ich glaub, mein Schwein rappt

Pappmaché-Tiere als Hip-Hop-Stars: Die Puppetmastaz geben den Unterdrückten dieser Welt eine Stimme

In einem Steglitzer Elektronikfachgeschäft ist vor CD-Regalen eine Bühne aufgebaut, behängt mit Plakaten und schwarzen Stoffbahnen. Es ist keine gewöhnliche Bühne, für Menschen wäre sie zu klein, vielmehr ein Puppentheater. Aus dem Off dröhnen Bam-Tschak-Bamm-Rhythmen, dann erscheinen drei Tiergestalten und nicken im Takt der schweren Hip-Hop- Beats ihre kleinen Köpfe. „It’s Poppetmästääz“, rufen sie, „we’ back, once ägään.“ Die Angerufenen, vier Kunden, zwei Angestellte und eine Hand voll Jugendliche, starren auf das rätselhafte Geschehen. Hier wird ein neues Album präsentiert. Es heißt „Creature Shock Radio“.

Ein Schock ist es jedes Mal, wenn die Puppetmastaz auftreten. Die Pappmaché-Figuren sehen so aus, als seien sie beim Vorspiel für einen Platz in der Muppets-Band abgelehnt worden und würden nun aus Trotz die Welt erobern. Zumindest den Teil der Welt, der besser hören als sehen kann. Die Puppetmastaz sehen ziemlich scheußlich aus. Dem einen rutscht ein faltiger Zylinder auf die Maulwurfsnase, dem anderen quellen Augen aus dem Kopf, die wie Gurkenscheiben wirken.

Die Puppetmastaz sind ein Rapper-Kollektiv von „Creatures“, wie sie sich selbst nennen, also Lebewesen jenseits der Humanität. Die Puppen von der Größe eines Kleinkindes kopieren mit ihren Trainingsanzügen, Goldketten und anderen Hip-Hop-Attributen das Gehabe der amerikanischen Gangsta-Cliquen. In den Vereinigten Staaten hat alles auch angefangen. Dort starteten sie vor zwei Jahren mit einer Kampagne, erinnert sich das Maulwurfwesen und Oberhaupt, Mr. Maloke: „Wir haben Transparente und Schilder gebastelt und unsere Botschaft hinausgetragen.“ „Animal Rights“ und „Puppet Rights“ proklamierten sie im Stile der Bürgerrechtsbewegung in Manhattan, wo sie sich zum ersten Mal trafen.

So absurd wie diese Forderungen ist es, sich mit der Band zu unterhalten. Denn trotz der Helping-Hands, die den Puppen motorische Fähigkeiten verleihen und selbst große Musiker sind – wie der kanadische Pianist Jason Beck alias Chilly Gonzales, der Minimalelektroniker Max Turner oder die englische Rapperin MC Soom-T – führen die Mastaz ein Eigenleben. Man fühlt sich automatisch in die Kindheit zurückversetzt und lässt noch einmal die Verabredung gelten, dass auch Puppen reale Wesen sein können, mit denen man sich real unterhalten kann. Auch die Musiker verlieren sich in dieser irren Zwischenwelt, in der Puppe und Puppenspieler seelisch miteinander verschmelzen.

Nach ihrem New Yorker Debüt haben sie die Welt mit einer Puppetmania infiziert, über 180 Konzerte gegeben und neue Freunde und Puppen-Kollegen hinzugewonnen. Die Band hat inzwischen mehr als zwanzig Mitglieder, die weltweit agieren und sich in ständig wechselnden Konstellationen zu den Shows zusammenfinden. Der harte Kern um Mr. Maloke, Panic the Pig, Snuggles the Bunny und Lurch the Wizard hat Berlin als Wahlheimat für sich entdeckt. Die ökonomischen Geschicke der zierlich-hässlichen MCs leitet der ehemalige Kitty-Yo-Labelchef Patrick Wagner mit seiner neuen Plattenfirma Louisville Records, nachdem EMI sie vor die Tür setzte. 7000 verkaufte Platten waren dem Konzern zu wenig.

Obwohl das Creature-Projekt ziemlich durchgeknallte Seiten hat, ist es nicht zufällig im Hip-Hop verankert. Die Musik, die in den Ghettos entstand, bietet eine ideale Plattform, um politische Botschaften loszuwerden. So rufen die Puppetmastaz zu mehr Bewusstsein den Dingen gegenüber auf: „You haven’t given them the attention they deserve.“ Man habe den Gegenständen, welchen auch immer, nicht die Aufmerksamkeit geschenkt, die sie verdienen, heißt es in „Midi Mighty Moe“. Frogga, der Frosch in der Runde, versichert: „Wenn du dir eine halbe Stunde lang eine Tasse anschaust, dann wird sich dein Geist mit der Tasse verschmelzen. Es findet eine Transformation statt, du wirst zur Tasse! Das ist keine Kunst, die nur Puppen beherrschen.“

„Yeah, bring em on“ fordert Mr. Maloke und animiert sein Publikum, eigene Puppen zu den Konzerten mitzubringen. Der Plan: eine riesige Puppen-Community bilden, die als politische Kraft agieren kann. Auf die Frage, was ihm lieber wäre, mehr Puppen oder mehr Menschen auf den Konzerten zu sehen, weiß Mr. Maloke nur zu sagen: „Ahhh, you humans...“ Für ihn und seine Mitstreiter sind wir nur Beiwerk in ihrem „Creature“-Universum, viel zu berechenbar. „Für euch Menschen gibt es immer nur das eine oder andere. Das Entweder-oder. Aber es gibt noch so viel dazwischen.“ Um dem Nachdruck zu verleihen, rappt es plötzlich aus ihm heraus: „You better listen to what we’ve got to say, without delay, you better listen, don’t wanna missin’ the word to spread, like that!“

Ganz ohne Musik wirkt solche Stegreif-Lyrik wie eine Predigt. So sind es denn auch erst die Beats des Produzententeams, die die Puppetmastaz-Parolen in mitreißende Powersongs verwandeln. Drei Italiener sind dafür verantwortlich, die Prosetti-Brüder, die zuvor Pornofilme vertont haben. Hip-Hop-Bands werden lahme Auftritte nachgesagt: ein DJ am Plattenteller, ein paar Rapper mit Mikrofonen in der Hand und nirgends Instrumente. Bei den Puppetmastaz wird die Musik live eingespielt, angelehnt an die Chaosorgien der Muppets-Welt, zelebrieren sie ein regelrechtes Feuerwerk auf der Bühne. Sie rappen, grölen, sind vulgär und können sich Dinge erlauben, die man Menschen auf einer Bühne niemals zugestehen würde. Die Puppetmastaz räumen alles aus dem Weg, außer vielleicht eine eifersüchtige Miss Piggy, die selbst gern die Sau rauslassen würde.

Die Puppetmastaz-Tournee beginnt am 1. November in Mainz und endet am 13. November im Kesselhaus in Berlin, 20 Uhr. Ihr Album „Creature Shock Radio“ ist bei Louisville Records erschienen.

Said Faruk Hosseini

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