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Höhenflug. Brecht und Weigel bei der 1.-Mai-Feier 1954 auf dem Dach des BE.

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Literatur: Ich küsse dich (undsoweiter)

Das Theater, die Liebe, der Alltag: der Briefwechsel zwischen Bertolt Brecht und Helene Weigel. Um die Anziehungskräfte zu erahnen, die ihre symbiotische Beziehung zusammenhielt, muss man zwischen den Zeilen lesen.

Mann ist Mann – so heißt ein Stück von Brecht, aber es könnte auch ein Stoßseufzer seiner Frau Helene Weigel über ihren untreuen Ehemann gewesen sein. Oder über sein Ungeschick im Haushalt, das er – wie die meisten seiner Affären – nicht leugnete. Er lerne erst jetzt, schrieb er ihr im Februar 1946 aus New York, zu spülen, zu fegen, Rühreier und Suppen zu machen, „alles als autodidakt. Ich fühle mich dir sehr gewogen, wenn ich gläser spüle, daß du das nun so lange gemacht hast, unter anderem.“ Liest man den gesamten Briefwechsel der beiden von 1923 bis zu Brechts Tod 1956 – die Korrespondenz ist erst jetzt, so weit bekannt, komplett erschlossen –, kann man getrost ergänzen, dass Helene Weigel trotz seines treuherzigen Danks und Geständnisses auch weiter und noch einmal so lange für Brechts häusliches Wohlergehen zuständig blieb.

Weigel, die Brecht 1923 kennengelernt hatte und die ihm den Sohn Stefan und die Tochter Barbara gebar, inspirierte den Dramatiker zu mehreren Frauengestalten. Ihr waren die Hauptrollen von „Die Mutter“ und „Die Gewehre der Frau Carrar“ zugedacht – und auch die stumme Katrin in der „Mutter Courage“; die beiden einte das Leben im und für das Theater, das Berliner Ensemble.

Selbst als sie 1953 nach 24-jähriger Ehe „wegen privater Differenzen“ (Herausgeber Erdmut Wizisla) aus der gemeinsamen Wohnung in Weißensee auszog und Brecht seine Stadtwohnung in der Chausseestraße 125 bezog, sorgte sie sich um sein Befinden: „Ist der Ofen groß genug? Ist in der Wohnung – vielleicht im kleinsten Raum – kombiniert Bad und Küche zu machen? Ich bin doch recht bedenklich mit Klo auf der Treppe.“ Schon ein Vierteljahr später sind die beiden – nach Proben für „Die Mutter“ in Wien – wieder versöhnt und in der Chausseestraße vereint.

Viel mehr Aufschluss über Privates ist aus den 250 von Erdmut Wizisla sorgfältig edierten Briefen nicht zu gewinnen. Nur ein gutes Viertel stammt von Helene Weigel, die meisten – 170 an der Zahl – stammen von Brecht. Fast alle beziehen sich in aller Kürze und Sachlichkeit auf den Alltag, Reisenotizen, Autorenbegnungen und die gemeinsame Theaterpraxis.

Mit je einer Ausnahme: Bei Brecht ist das ein ungewöhnlich ausführlicher Brief vom Januar 1933, in dem er bekennt, er „fürchte Privatkonflikte, Szenen usw., die mich sehr erschöpfen. Nicht aber lebe ich ausschweifend. Davon ist keine Rede.“ Trotz Verstimmung von ihrer Seite und trotz eigener Gereiztheit habe er „nun oft gemeint, man sollte sich bemühen, das Körperliche nicht nach dem Seelischen zu richten, da es die naivere und unbelastetere Verständigung ergibt.“

Da klingt es fast wie eine späte Antwort, wenn sie ihm elf Jahre später während seiner Affäre mit Ruth Berlau in einem unvollendeten oder nie abgesandten Brief zu erklären versucht, „daß ich nein sage, wenn du mit mir schlafen willst.“ Er habe doch nie eine „mit Stempel versehene Ehe führen“ wollen, die sie deshalb auch nicht verlangt habe, „weil ich annahm, daß sie nicht geht für Dich, aber ich finde auf einmal, daß Du solche Ansprüche einer anderen Frau einräumst.“ Schon einmal, bei seiner Liebschaft mit Margarete Steffin, hatte sie sogar an Scheidung gedacht. Ruth Berlau brachte im September 1944 ein Kind von Brecht zur Welt, das wenige Tage nach der Geburt starb.

Um die Anziehungskräfte zu erahnen, die ihre symbiotische Beziehung zusammenhielt, muss man zwischen den Zeilen lesen. Zwar soll es echte Liebesbriefe Brechts an Helene Weigel gegeben haben: Sie seien „verloren gegangen (teilweise auf Klopapier geschrieben)“, bekundet eine Mitarbeiterin des Brecht-Archivs. Aber auch die erhaltene Korrespondenz enthält Spurenelemente von Zärtlichkeit, Eifersucht, Sehnsucht nach Nähe.

„Ich küsse dich (undsoweiter)“, heißt es schon mal unter einem seiner Briefe, die oft mit der Versicherung enden, er sei ihr „gewogen“ und „sehr gewogen“. Ein andermal findet sich das Postskriptum: „Ich habe deine Stimme gern am Telefon.“ Halb ernst, halb im Scherz mahnt er 1937 aus Svendborg, als sie zwischen Engagements in Paris und Prag pendelt: „Du mußt freilich furchtbar herumkutschieren, sieh nur zu, daß Du nicht zu dünn wirst, besonders, Du weißt schon wo. Und benimm Dich sittlich.“

Er vermisst ihre allzu seltenen Briefe und bittet, ihm „doch wirklich jede Woche“ zu schreiben. Dann dankt er „für Zigarren und den Brief. Könntest du noch einen schreiben?“ Sie kann. Aber dann heißt es auch einmal von ihr: „... und schreib wieder Deiner Helli.“ Dass sie durchaus zu ebenbürtiger Ironie fähig ist, zeigt ihre Reaktion auf sein Ausweichen: „So viele Fragen, wie viele Antworten?“ Sie hatte ihren Brecht gelesen.

Das höchste der fixierten Gefühle ist Brechts Rückblick auf das Jahr 1945, „von dem Du das Größte warst“, und Weigels Weihnachtsgruß an ihn 1952 „von Deiner ältesten Verehrerin“. Das ist beides keine Phrase. Gerade weil das Theater die Hauptsache in ihrem gemeinsamen Leben ist, wissen beide, was sie aneinander haben. In der Arbeit am Berliner Ensemble entlastet Helene Weigel Brecht, wo sie kann, aber sie ruft ihn auch zu Hilfe. Als von der Staatsbibliothek entliehene Bücher im Haus verschwinden, schlägt sie ihm eine Razzia bei den Dramaturgen Besson, Weber, Wekwerth und Palitzsch vor („Das sind alles Büchermarder“), den „Herrn Tragelehn“ bitte sie zur Ordnung zu rufen, weil er wiederholt verschlafen hat und seine Abendberichte nicht abliefert. Notfalls bittet sie Brecht „um Krach“, sie sei „in absoluter Hilflosigkeit“ bei der Probenkoordinierung.

Als sie nach seinem Tod das Haus übernimmt, zeigt sich allerdings, dass sie so hilflos nicht ist. Brecht wird es gewusst haben. Seine letztwillige Verfügung, im November 1953 verfasst, überträgt ihr seine letzte Inszenierung: die seiner Beerdigung in Buckow oder auf dem Friedhof in der Chausseestraße. Sie schließt mit einem schlichten „Danke, Helli! brecht“.

Bertolt Brecht, Helene Weigel: „ich lerne: gläser + tassen spülen“. Briefe 1923 – 1956. Hg. von Erdmut Wizisla. Suhrkamp, Berlin 2012. 400 S., 24,95 €. – Heute, Mittwoch, 20 Uhr, stellt Wizisla den Band im Gespräch mit Barbara Hahn im Berliner Ensemble vor. Aus den Briefen lesen Katharina Thalbach und Ulrich Matthes.

Hannes Schwenger

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