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Kultur: Ich lese was, das du nicht kriegst

Schnäppchenjäger finden in Buchhandlungen wenig Beute. Der Preis ist meist nicht heiß, sondern gebunden - und wird es nach dem Willen der Branche und der Bundesregierung auch bleiben, um die kulturelle Vielfalt zu schützen.

Schnäppchenjäger finden in Buchhandlungen wenig Beute. Der Preis ist meist nicht heiß, sondern gebunden - und wird es nach dem Willen der Branche und der Bundesregierung auch bleiben, um die kulturelle Vielfalt zu schützen. Doch es könnte sein, dass in Zeiten der Sonderangebotsmentalität weniger die risikofreudigen Erstverlage als die Nachdrucker profitieren. Besonders die Buchgemeinschaften, deren Mitglieder einmal im Quartal ein Buch oder eine CD kaufen müssen, wenn sie nicht unaufgefordert den "Vorschlagsband" zugesandt bekommen wollen, mausern sich mit attraktiven Büchern und Verkaufspreisen.

Nur Mitglieder des Club Bertelsmann können derzeit John Grishams "Die Farm" lesen, die Büchergilde Gutenberg offeriert exklusiv Morris Bermans "Kultur vor dem Kollaps". Von der Streitschrift über den kulturellen Niedergang der USA liegt bereits die zweite Auflage vor. Für jedermann käuflich wird das Buch erst im Mai sein, wenn es als erster Titel eines Verlags erscheint, mit dem sich die Büchergilde auf den freien Buchmarkt wagt: der Edition Büchergilde.

Ob sich der Erfolg bei 130 000 Mitgliedern in der raueren Luft offenen Wettbewerbs wiederholen lässt? Bermann empfiehlt nach einer vernichtenden Diagnose der amerikanischen Gegenwartskultur die "monastische Option". Jeder solle sich in seinem Beruf als Arzt, Musiker oder Umweltplaner um die Kultur kümmern, ganz ähnlich wie im Mittelalter die Mönche Irlands, die in ihren Schreibstuben die Kultur des dahinsiechenden römischen Imperiums bewahrt hätten. Das ist historischer Unsinn, aber ein tröstlicher. Und Hand aufs Herz - bilden die Gutenbergianer der Büchergilde nicht bereits eine mönchische Gemeinschaft?

Optimismus muss wohl besitzen, wer wie die Büchergilde ein nicht unbeträchtliches Risiko mit einer Verlagsgründung eingeht. Das einst gewerkschaftseigene Unternehmen, das nach jahrelangen Gerüchten um sein Ende vor vier Jahren vom Management übernommen wurde, scheint konsolidiert (Umsatz: 7 Millionen Euro) und will nun wachsen. Zehn Romane und politische Sachbücher soll die "Edition Büchergilde" im Jahr veröffentlichen. Betreut wird das Programm von den 30 Mitarbeitern des Mutterhauses. Der Steidl Verlag besorgt den Kontakt zum Handel. Im Herbst 2002 erscheinen der zweite Roman von Ramona Dieffenbach, ein von Horst Hussel illustrierter Knigge sowie zwei Holocaust-Erinnerungen von Simon Schweitzer und Inge Deutschkron. Ein originelleres Programm ist mühelos denkbar, und so darf man der Edition Büchergilde mit gediegenem Wohlwollen und nicht wenig Besorgnis entgegensehen.

Auch der ungleich größere Konkurrent Bertelsmann, heute Random House, versucht seit einigen Jahren, seine kränkelnden Buchclubs (4,8 Millionen Mitglieder) aufzuwerten. In mittleren und größeren Städten will man die Cubs mit herkömmlichen Buchhandlungen kombinieren und dafür etwa 100 Joint Ventures mit Buchhändlern gründen. Außerdem werden seit 1993 Originalausgaben produziert. Anfangs waren es unbekannte Amerikaner, die sich schon wegen der Weitervermarktung in den konzerneigenen Verlagen gerechnet haben dürften. Inzwischen sind es Bestseller wie Grisham, der im Club eine "Super-Premiere" für 17,90 Euro feiert. Die Buchhandelsausgabe von "Die Farm" wird im Sommer bei Heyne erscheinen und 22 Euro kosten.

Das erstaunliche Verfahren, die Lizenz- vor der Originalausgabe erscheinen zu lassen, hat den Buchhandel schon protestieren lassen und findet auch in den Random House-Buchverlagen nicht nur Zustimmung. Bisher galten andere Usancen. Sie suchten den gebundenen Ladenpreis zu schützen. Damit er nicht durch die günstigeren Preise der Buchgemeinschaften ausgehebelt wird, hatten sich die Beteiligten 1995 geeinigt, zwei bis vier Quartale bis zur Lizenzvergabe verstreichen zu lassen. Weitere Bedingungen waren eine andere Ausstattung und die Verpflichtung der Mitglieder zur regelmäßigen Abnahme einer Anzahl von Titeln.

Daran wird nun gerüttelt: Im Entwurf des Preisbindungsgesetzes wurden die Anforderungen für billigere Buchgemeinschaftsausgaben in letzter Minute deutlich gelockert - auf Druck von Random House, das von dem Konkurrenten Weltbild bedrängt wird. Weltbild ist keine Buchgemeinschaft, verkauft aber unter dem Namen "Reader" 40 Prozent billigere Lizenzausgaben. Lizenznehmer und Buchhandel rücken auf allen Ebenen enger zusammen. Nur gemütlicher wird es nicht.

Jörg Plath

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