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Kultur: Ich möchte Bäume fällen

Kanada ist ein großes Land: Sänger Ron Sexsmith über Schneestürme und falsche Telefonnummern

Herr Sexsmith, wir haben im Supermarkt etwas aus Ihrer Heimat entdeckt ...

Mmmh, Ahornsirup.

Ja, wahrscheinlich das erfolgreichste kanadische Export-Produkt in Deutschland.

Was, ihr macht keinen eigenen Ahornsirup? Ist ja verrückt.

Können Sie uns sagen, ob der hier gut ist, oder nur billiger Verschnitt?

(Probiert einen Löffel) Vorzüglich, der ist von der besten Sorte.

Im Gegensatz zu Ahornsirup haben kanadische Musiker wie Sie ein Problem: Sie werden oft als US-Amerikaner wahrgenommen. Stört Sie das?

Ich war immer ein bisschen von beidem. Ich bin aufgewachsen in einer Stadt in der Weinregion Ontarios, ganz in der Nähe der amerikanischen Grenze. Als ich jung war, sind wir immer zum Trinken und Musikhören in die USA rüber. Dennoch: Sobald man die Grenze überquerte, merkte man einen spürbaren Stimmungswandel. Irgendwie atmet man durch, wenn man von den USA wieder in Kanada ankommt, alles ist ein bisschen ruhiger, weniger stressig, man fühlt sich sicherer.

Wieso das?

Kanada ist sozial sehr fortschrittlich, fast ein sozialistisches Land mit einem öffentlichen Gesundheitssystem und solchen Dingen, die für Europäer selbstverständlich sind. Auch haben wir große Angst, amerikanisiert zu werden und uns ganz in deren Kultur zu verlieren. Wir sind eben nicht jene Art von Leuten, die sich aggressiv ihrer selbst versichern. Kanada als Land hat nie ein anderes Land überfallen. das macht manche Amerikaner paranoid: Was sitzen die da oben und sind so ruhig? Die denken, wir haben etwas vor. Aber wir sind einfach nur friedlich.

Kanada hat eine lange Tradition an Singer-Songwritern von Neil Young, Leonard Cohen und Joni Mitchell bis zu Ihnen. Ist Kanada besonders fruchtbar für diese Art von Musik?

Ich denke, das Ländliche hat uns alle stark geprägt. Bei Joni Mitchells frühen Songs hört man, dass sie in Prärien groß geworden ist, man fühlt fast den großen weiten Himmel über der Musik. Kanada ist sehr groß und sehr unterbevölkert. Das prägt.

Mit welchem Ergebnis?

Wir haben dieses Erdverbundene der amerikanischen Musik, aber dazu kommt der melodiöse Einfluss unseres britischen Erbes. Das hört man bei Neil Young: Wenn er einen Country-Song spielt, weiß man sofort, er ist nicht aus den USA.

Ihr Name Sexsmith ist auch der Name einer Stadt in Alberta ...

Ja, es ist ein englischer Name. Ein Sexsmith im alten England war der Messermacher, habe ich gehört. Auf der Seite meines Vaters bin ich Halb-Ureinwohner, Irokese.

Die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood sagte, die kanadische Landschaft und die Größe Ihres Landes, immerhin das zweitgrößte der Erde, haben sie als Künstlerin fundamental geprägt. Wie ist das bei Ihnen?

Die Größe unseres Landes wurde mir erst bewusst, als ich 18 war. Ich fuhr mit einem Freund im Auto sieben Tage in Richtung Westen, bis wir an der Küste von British Columbia ankamen. Und dann sind wir zur Ostküste gefahren. Da habe ich gemerkt, wie verdammt groß dieses Land ist. Das machte mich stolz und bescheiden zugleich. Diese Bescheidenheit finden Sie bei vielen Kanadiern. Man sieht zum Beispiel kaum kanadische Musiker, die sich wie Rockstars benehmen, Sonnenbrillen in geschlossenen Räumen tragen und solche Dinge. Auch Neil Young strahlt diese Zurückhaltung aus. Das ist das Gefühl, sich persönlich klein, aber als Land groß zu fühlen.

Der Autor Douglas Coupland, der aus West-Kanada stammt, schrieb, er wuchs mit dem ständigen Gefühl der Unterlegenheit gegenüber den USA auf.

Ja, quer durch Kanada gibt es dieses Bedürfnis, uns unseres Kanadisch-Seins zu vergewissern, manchmal auf total alberne Weise, durch die übermäßige Betonung unseres regionalen Akzents, der in Wirklichkeit gar nicht so stark variiert.

Ihre Kollegin kd Lang hat mal gesagt, die kanadische Musik sei geprägt durch das tiefe Verständnis für die Natur und die Seele des Landes.

Das stimmt. Ich habe sechs Jahre als Kurier gearbeitet und bei jedem Wetter zu Fuß Sachen ausgeliefert. Danach wusste ich, welche Gewalt die Natur auch über mich Großstadtmensch hat. Wenn man ein paar Mal um eine Ecke gelaufen ist und sich an einem Laternenpfahl festhalten musste, damit der Schneesturm einen nicht wegblies, dann preist man das Leben auf andere, tiefere Weise. Allerdings muss ich sagen: Ich bin kein Naturmensch.

Nach dem optimistischeren Vorgänger-Album klingt „Time Being“ wie der traurige Rückblick auf ein gelebtes Leben.

„Retriever“ war sehr romantisch, weil ich gerade eine neue Beziehung begonnen hatte. Inzwischen leben meine Freundin und ich ein paar Jahre zusammen. Wir sind immer noch glücklich, aber es spielen andere Dinge eine größere Rolle. Das Traurige am neuen Album liegt vielleicht daran, dass ich mich in den letzten Jahren oft mit dem Thema Abschied beschäftigt habe. Zwei Schulfreunde starben kurz nacheinander.

Sie beschäftigt mit 42 die Frage, was Sie hinterlassen?

Mein Sohn ist inzwischen 21, so alt wie ich war, als er geboren wurde. Da fängt man an, sich grundsätzliche Gedanken zu machen. Es ist eher eine Bilanz meines bisherigen Lebens, in dem die Dinge sich zum Guten gefügt haben.

Das war nicht immer so?

Nein, als ich Mitte 20 war und keine Ahnung hatte, ob ich mit meiner Musik je eine Familie ernähren kann, war das sehr frustrierend. Mein Erfolg kam ja erst spät.

Etwas von dieser dunklen Seite ist auch in Ihren neuen Songs zu hören.

Ja, manche Songs erzählen dunkle Geschichten. Ich war nicht sicher, ob die Leute so etwas hören wollen. Also schickte ich die Songs zu Elvis Costello. Er gab mir eine sehr positive Rückmeldung, fand die Songs poppig und aufmunternd, auch wenn die Texte traurig sind. Genau das ist die Mischung, die ich hinkriegen wollte. Ich bin kein Pessimist, aber wir leben nun mal in sehr stressigen Zeiten, es gibt viele Sorgen, Kriege, Umweltkatastrophen, der Zusammenprall der muslimischen und der westlichen Welt. Manchmal will ich einfach nur in einen ruhigen Teil Kanadas verschwinden und Bäume fällen.

Es heißt, Kanadier würden sich sogar entschuldigen, wenn sie von einem Auto angefahren werden. Stimmt das?

Ja, so sind wir, höflich und etwas zu schuldbewusst, auch wenn es gar keinen Grund gibt. Wenn ich von jemandem angerufen werde, der die falsche Nummer hat, dann entschuldige ich mich.

Das Gespräch führte Lars von Törne

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