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Kultur: Ich und Ich

Das „Dossier K.“: Reden in zwei Stimmen

„Eine Ermittlung“ lautet der Untertitel des „Dossier K.“ von Imre Kertész, und es führt sie niemand anders als er selbst. Der ungarische Literaturnobelpreisträger stellt die Fragen, und er beantwortet sie, meist bereitwillig, selten widerstrebend. „Dossier K.“ wirkt einfach und direkt, ist aber ebenso klug konstruiert wie Kertész’ „Roman eines Schicksallosen“, das „Galeerentagebuch“ oder „Fiasko“, Bücher, die vom Überleben in Konzentrationslager und Stalinismus handeln. Das „Dossier K.“ versucht, die Umstände dieses Überlebens zu ergründen. Aber diese Seite seines Lebens ist dem Befragten fremd. Er hat sich ja immer wieder durch das Schreiben aus der Gegenwart befreit: durch die Hingabe an eine Wahrhaftigkeit, die es nur in der Literatur, nicht in der Diktatur gab. Dafür war die Fiktion unumgänglich. Hat er also auch Auschwitz erfunden? „Natürlich, in einem gewissen Sinn“, lautet die Antwort. Die Wahrhaftigkeit der Literatur verbannt sogar Kertész’ Überleben in der Krankenstation des KZ Buchenwald in das Reich der Anekdote.

„Dossier K.“ erzählt zweistimmig von mindestens zwei Leben. Die literarische Autobiografie geht weitgehend chronologisch vor. Anfangs porträtiert Kertész die Großeltern und die Eltern, deren Scheidung das Kind ein Doppelleben führen lässt: Die Familie bereitet ihn vor auf die Diktatur. Immer sind es solche Miniaturen, mit denen Kertész 60 Jahre Verzweiflung und die Selbstbefreiung durch das Schreiben umreißt. Er verschweigt die kurze Phase des Glücks nach dem Krieg nicht, die Mitgliedschaft in der KP, die Arbeiten als Journalist und die Lustspiele, die er, ein Kollaborateur aus Geldnot, mit Freunden verfasste. Diskret wird die erste Ehefrau vorgestellt und die zweite, die ihm spät das Glück schenkt. Zornig ist von der Ablehnung in Ungarn die Rede, die ihn und seine Frau einen Zweitwohnsitz in Berlin nehmen lässt.

Es ist alles da, in äußerster Verdichtung und Prägnanz. Die Zerrissenheit dieses Lebens aber, dessen Glück und dessen Wahrheit zuallererst gegen die eigene Existenz und ihre Kollaboration mit der Zeit erkämpft, erdacht, erdichtet wurde, ist in der verbindlichen Form des Buches aufgegangen: als Selbstgespräch.

Imre Kertész: Dossier K. Eine Ermittlung. Aus dem Ungarischen von Kristin Schwamm. Rowohlt, Hamburg 2006. 240 S., 19,90 €.

Jörg Plath

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