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Kultur: „Ich verwandle mich in ein Reptil“

Heute wird Iggy Pop 60 Jahre alt. Ein Gespräch über Coolness, Drogen und das Überleben im Rock’n’Roll-Zirkus

Mister Pop, Sie feiern heute Ihren 60. Geburtstag. Hand aufs Herz: Hätten Sie je damit gerechnet, so alt zu werden?

Momentan komme ich mir noch genau so unreif vor wie immer. Daher bezweifle ich, dass ich plötzlich aufspringen und sagen werde: Mit sechzig muss ich nett zu kleinen Kindern sein!

Mitte dieses Jahres soll ein Biopic über Ihr Leben erscheinen. Was halten Sie davon?

Ein Produzent, ein Regisseur und ein Schauspieler wollen einen Film namens „The Passenger“ über mich machen. Aber bislang habe ich ihnen noch keine Erlaubnis erteilt.

Elija Wood würde Sie gerne spielen.

Nicht, dass ich irgendwas dagegen hätte, aber mich interessieren gerade andere Sachen. Es gibt auch eine Gruppe von Leuten, die einen Film über die Stooges machen wollen, der „Search And Destroy“ heißen soll. Sehr wild, sehr provokant und sehr dekadent. Aber die haben auch noch keine Erlaubnis. Und ich glaube auch nicht, dass ich sie ihnen erteilen werde. Es ist an der Zeit für die Gruppe, für sich selbst zu sprechen.

Seit Mitte der neunziger Jahre haben Sie mit dem Gedanken gespielt, die Stooges zu reformieren, die Idee aber immer wieder verworfen. Warum nun der Sinneswandel?

Weil ich alles, was ich konnte, gemacht habe und mich musikalisch in einer Einbahnstraße bewegte. Zudem wurde mir bewusst, dass das, was ich alleine mache, sowieso immer mehr an die Stooges erinnert. Aber eben ohne deren Witz und ohne den Feinschliff. Als ich für das Album „Skull Ring“ mit diversen Gästen arbeiten wollte, habe ich die Stooges einfach mit auf die Liste geschrieben. Als wir dann zusammenkamen, spürte ich eine unglaubliche Erleichterung, mit Leuten zu arbeiten, die ich kenne.

Das letzte Stooges-Album ist 1973 erschienen. Waren Sie danach immer mit der Band in Kontakt geblieben?

Nur sporadisch. Scott Asheton, der Schlagzeuger, hat mich immer mal wieder angerufen, um eine Reunion vorzuschlagen. Den Gefallen konnte ich ihm zwar nicht tun, aber ich habe ihn immer sehr gemocht. Bei seinem Bruder Ron, dem Gitarristen, habe ich verstanden, warum er es irgendwann aufgab, zu meinen Gigs zu kommen, wenn ich in der Nähe von Detroit gespielt habe. Es muss für ihn zu deprimierend gewesen sein. Und an seiner Stelle hätte ich wohl genauso gefühlt. Also hat er sein Ding als lokaler Musiker in Detroit durchgezogen. In den 30 Jahren seit unserer Trennung hat keiner von uns schlecht über die anderen geredet. Bei uns fehlt, was bei anderen Bands für so viel Hass sorgt. Wir haben uns nie um Geld gestritten. Wir hatten auch keine konkurrierenden Manager oder verfeindeten Anwälte, weil wir nie genug verdient haben, um morgens nicht mehr aufstehen zu müssen.

Die drei frühen Alben der Stooges gelten heute als Klassiker. Wie kommt es, dass sie sich trotzdem schlecht verkauft haben?

Das ist Ansichtssache. Denn alles, was ich je zu werden hoffte, war dieser Typ aus einer kleinen Stadt, der tolle Musik spielt. Wenn die ein paar tausend Leute hören wollten, war das schon ideal. Ich denke bis heute nicht in großen Zahlen. Irgendwann habe ich gelernt, wie man überlebt, aber ich bin nicht der Mensch, der unermesslich reich werden will. Das ist nicht mein Ding. Ich kümmere mich nur darum zu überleben.

Die Stooges waren ein ziemlich übler Haufen aus Drogendealern und Kleinkriminellen. Verstehen Sie sich immer noch als Underdog?

Eigentlich hat sich keiner in der Gruppe verändert. Aber mittlerweile ist jeder ein bisschen cooler und ruhiger geworden, was ganz normal ist. Wir hatten wirklich üble Drogenprobleme, und wir sind immer noch nicht ausdrücklich gegen Drogen, aber doch definitiv vernünftiger, was den Umgang mit ihnen betrifft. Wir arbeiten nicht mehr, wenn wir high sind.

Haben Drogen die Band zerstört?

Sicher, das war eine der Sachen, die sie ruiniert hat. Aber auch unser Versagen, miteinander zu kommunizieren und uns an simple Absprachen zu halten. Ich würde sagen, es war zur Hälfte unsere Schuld und zur Hälfte die unserer Umgebung. Ehrlich gesagt habe ich es jahrelang gehasst, ständig und überall zu hören, dass wir unserer Zeit voraus waren. Aber jetzt gebe ich auf: Wir waren unserer Zeit voraus. Wann immer ich in den letzten dreißig Jahren die alten Sachen spielte, flippte das Publikum total aus. Das war anfänglich nicht der Fall. Da reagierten die Leute eher geschockt – und zwar richtig. Sie standen da und haben sich nicht im Geringsten bewegt. Oder sie waren sogar feindselig.

Sie haben sich in Glasscherben gewälzt und ein Konzert in etwas sehr Gefährliches verwandelt. Iggy Pop wollte schockieren, oder?

Nicht unbedingt. Ich habe nur versucht, einen möglichst guten Job zu erledigen mit einer jungen, weißen, aufgeklärten Band aus Ann Arbor, die halt im Rock’n’Roll verwurzelt war. Aber dann haben wir diese komischen Reaktionen bekommen, und das hat mich ziemlich irritiert. Also fing die Scheiße irgendwann an zu fliegen. Und der Umgang zwischen Teilen des Publikums und mir wurde ein bisschen heftig. Aber die grundlegende Idee war dieselbe wie bei James Brown, Miles Davis, John Coltrane oder den etwas besseren englischen Gruppen wie den Stones und den Who – es waren der Groove und das Entertainment. Eben diese Sachen, die eine unglaubliche Energie besitzen und eine spontane Reaktion auslösen.

Was, wenn die Stooges nach dem Album „Raw Power“ weitergemacht hätten? Wären sie im Mainstream gelandet?

Wir hätten bestimmt noch ein paar gute Sachen machen können. Die Ansätze hörst du auf den Bootlegs, die im Umlauf sind. Es wurde ein bisschen anspruchsvoller und reifer. Wir waren im Begriff, uns weiterzuentwickeln. Das ist der Unterschied zu vielen anderen Gruppen, die nur ein nettes kleines Konzept haben, und es bis zum letzten Tropfen auswringen. Das gilt insbesondere für diejenigen, die sich ganz ungeniert bei uns bedient haben, und daraus das kreiert haben, was heute als Punkmusik gilt. Wie etwa die Sex Pistols oder die Ramones, deren Repertoire ja sehr statisch ist.

Heute gelten die Stooges als Kultband.

Ja, ein tolles, spätes Geschenk – genau wie die Tantiemen für die ganzen Coverversionen. Dabei sind die meisten schrecklich, weil die Leute das Material unterschätzen. Für gewöhnlich ist es so: Je besser Musiker spielen, desto schlechter hören sie zu. Sie verstehen nicht, was da rhythmisch abgeht. Die Red Hot Chili Peppers haben zum Beispiel „Search And Destroy“ probiert. Und rhythmisch ist das ein Desaster. Es ist unorganisierter Krach – weil sie es nicht verstehen. Aber Mann, ich war so happy, dass sie es gemacht haben. Das hat mir finanziell wirklich geholfen. Wir sind wie ein fieser, kleiner Virus, der sich durch die gesamte Musikgeschichte zieht – und jetzt noch einmal ausbricht.

Das neue Stooges-Album heißt „The Weirdness“.

Stimmt. Und weißt du was: Der Dalai Lama ist hier in Miami in derselben Halle aufgetreten, in der auch Aerosmith gespielt haben. Es ist also an einem Abend Aerosmith, am nächsten der Dalai Lama, dann Madonna, gefolgt von der Antifada, die eine Spendenveranstaltung abhält. Das ist das moderne Amerika. Die Leute sind alle total verrückt. Schau dir nur an, was sie heute unter einem netten Wochenende verstehen: ein bisschen Porno, ein bisschen Stripclub, ein paar fiese Drinks, ein bisschen S & M. Es ist verrückt.

Und das verleitet Sie zu der Textzeile „My idea of fun is killing everyone“?

Ich bin ein Mensch, der sich sehr unwohl mit der Aufmerksamkeit fühlt, die er bekommt. Das Schreckliche ist aber, in einer Branche tätig zu sein, in der das unvermeidlich ist. Ich erlebe eine Menge Leute, die damit auf die eine oder andere Art Probleme haben und auf die schiefe Bahn geraten. Also alle von Elvis bis Bobby Brown. Und genau darum geht es in dem Stück. Vielleicht hätte ich es netter formulieren sollen. Aber ich bin kein Menschenfreund.

Jetzt verstecken Sie sich in Florida, einer unauffälligen Gegend, vor Ihren Landsleuten?

Scheiße ja. Die haben mich aus South Beach vertrieben, aus dem New Yorker East Village, sie haben Berlin übernommen und mich aus Hollywood gejagt. Aber ich bin ihnen immer einen Schritt voraus. Zum Glück. Und dabei musste ich feststellen, dass ich es einfach nicht ertrage, unter Leuten mit einem gewissen Reichtum zu leben – obwohl es mir selbst ja auch nicht schlecht geht. Aber die einzigen Menschen, die ich mag, sind arm. Was ein Problem ist, denn mit so vielen armen Freunden werde ich nie richtig reich.

Ist Iggy Pop der mies gelaunte Nachbar, mit dem man sich besser nicht unterhält?

Ich bin schlechter gelaunt als die anderen. Und deswegen bin ich auch der Einzige in der ganzen Siedlung, der eine Hecke statt eines Zauns hat. Das sagt dir: Lass mich in Ruhe. Komm mir nicht zu nahe. Ich schätze, ich verwandle mich langsam in ein Reptil. Ich öffne meinen Mund, und wenn du deinen Fuß rein steckst, halte ich dich für mein Fressen – und beiße zu.

Dabei gilt Ihr Refugium als Tummelplatz der Showbiz-High Society: Jay-Lo, Justin Timberlake, Beyoncé, Timbaland. Ist der nächste Umzug da nicht nur eine Frage der Zeit?

Nein. Weißt du was: Ich habe einen Papagei. Wenn ich ihn frage: „Na, warst du ein braves Mädchen?“, dann antwortet er: „Ja, ich war ein braves Mädchen.“ Er macht nichts anderes als diese Hohlköpfe – nur dass er damit kein Geld verdient.

Waren Sie bei Bowies 60. Geburtstag?

Oh, das habe ich komplett vergessen. Stimmt, der war ja auch gerade.

Würde Elijah Wood einen guten jungen Iggy Pop abgeben?

Keine Ahnung. Und darüber mache ich mir auch keine Gedanken. Ich halte es eher so: Jeder, der Iggy Pop sein möchte, sollte es sein dürfen.

Das Gespräch führte Marcel Anders.

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