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Lady Gaga: Ich will deinen Whiskey-Mund

Massentauglich ab sechs Jahren: Das neue Album "Born This Way" von Lady Gaga ist in erster Linie "Kirmestechno" - und enthält eine lustige Verballhornung des Deutschen.

Auch der Verfasser dieser Zeilen gehört zu denen, die immer wieder vertreten haben, dass es bei Pop-Musik nicht in erster Linie um Musik geht. Ideen, Performance, Haltung, Pose, Verkörperung und Durchkreuzung von Verkörperung, die Dialektik aus Einzigartigkeit und Stereotyp – all das ist wichtiger als ein paar Ideen zu Beats und Akkordwechseln. Man könnte sagen, dass Lady Gaga Leute wie mich, die Pop-Musik anscheinend für eine Mischung aus einer Disziplin der Performance-Kunst, aus intellektuellem Einfallsreichtum und aus den immer älter werdenden Traditionen der Aufwiegelung halten, ein für allemal widerlegt. Denn erstens hat sie reichlich Ideen, in Sachen intermedialer Performance-Kunst macht ihr zweitens auch keiner was vor und für allgemeine Aufregung sorgt sie auch verlässlich – nur die Musik nervt halt.

Das ist auch bei „Born This Way“ nicht anders. Das musikalische Maximum sind ein paar Gags, worunter das zu aufgemotzten Casio-Beats angerichtete Lied „Scheiße“, die lustigste Verballhornung des Deutschen seit Chaplins Hitler und „Never Argue With A German When You’re Tired“ von Jefferson Airplane, eindeutig herausragt. Ansonsten regiert das, was die Kritik immer wieder „Kirmestechno“ nennt, obwohl die Kollegen sicher jahrzehntelang auf keiner Kirmes waren. Wahrscheinlich meinen wir Musikkritiker einfach den letzten konkreten Ort euphorischer Gemeinschaftserlebnisse auf niedrigem Niveau, an den wir uns erinnern können. Zunächst stellt sich also die Frage: Hätte Lady Gaga und ihr Think-Trust vielleicht weniger auf Leute wie mich und meinesgleichen hören sollen, und sich mehr um die Musik kümmern müssen?

Nein, denn das Problem liegt anders. Dass Musik nicht im Mittelpunkt der Pop-Musik stehen sollte, heißt nicht, dass sie unwichtig ist. Gute Musik als Teil von Pop-Musik entsteht nur nicht, wenn man sich hörbar um das kümmert, was Pop-Akademien lehren und was Musikern und anderen Profis als musikalischer Einfall gilt. Gute Pop-Musik entsteht als unmarkiertes Nebenprodukt guter Posen und Positionen, sie ist der beiläufig abfallende Sound guter und richtiger Ideen. Sie ist mühelos und sie ist lakonisch, ernst oder abgedreht, aber sie kann das niemals sein, weil jemand will, dass sie das ist. Erst hat man einen Weg gefunden, sich und seine Freunde für großartiger oder verletzlicher oder schlauer als alle anderen zu halten, dann klingt das auch irgendwie richtig. Und dieser richtige Klang wirkt dann wie alles andere als ein Nebeneffekt, nämlich großartig und überzeugend.

Bei Lady Gaga wurde dagegen die Idee von der Nebensächlichkeit der Musik zu wörtlich genommen und in ein neoliberales Outsourcing-Programm eingespeist: hier die große Kreativität um Kostüme, Bühnenbilder, Videoskripte, Queer-Activism, dort die Musik. Für das erste wird der künstlerische, politisierte, feministische, anti-essentialistische Ehrgeiz der Künstlerin mobilisiert, für das zweite, die Musik, lediglich die Direktive ausgegeben, massenkompatibel und zeitgemäß zu klingen, schick und mainstreamig. Und das ist nicht einfach, denn wie soll man das Kunststück fertig bringen, einerseits den Sound zu treffen, der die größtmögliche Zahl erreicht, andererseits aber zu berücksichtigen, dass niemand zur großen Zahl gehören will.

Da hat das Gaga-Team immerhin eine strategisch kluge Lösung erarbeitet. Man nehme den breitenwirksamsten, großraumdiscohaftesten Kirmes-Techno und beule diese Blase an einigen Stellen gezielt aus. Die beiden Produzenten und Sound-Stilisten RedOne und Fernando Garibay, mit denen Gaga schon immer zusammenarbeitet, haben in der Hierarchie die Plätze getauscht. RedOne, der schwedisch-tunesische Teenie-Tanz-Pop-Spezialist, der sich durch Tätigkeiten bei den Sugarbabes, Usher und J-Lo den Stallgeruch der ganz großen Cola-Whiskey-Flaschenabfüllungs- Paläste erarbeitet hat, hat dem größten gemeinsamen Nenner des Alco-Tanz- Pop die Kindergeschmack- und Euro- Trash-Komponenten hinzugefügt und darf das hier nur noch selten. Fernando Garibay, der, einschlägig bekannt durch Ricky-Martin- und Enrique-Iglesias-Produktionen, für den US- Latino-Geschmack zuständig ist, wurde zum Musical Director befördert. Er beult in diese Richtung aus. Gäste aus dem Alte-Säcke-Rock-Segment wie Brian May von Queen und das alte Produzenten-Pferd Mutt Lange erweitern schließlich in Richtung ältere Generationen – um dort in geschmacklich noch trüberen Gewässern zu fischen.

Diese Kombinationsstrategie könnte aufgehen. Mit den ersten eineinhalb Alben wurde der globale Techno-Disco- Sound um die an Quietsch-Reizen orientierten Geschmäcker der Allerkleinsten (ab sechs) erweitert. Ohne diese Gruppe aus den Augen zu lassen, hat man jetzt das in jeder Generation wieder nachgeborene Knarzrock-Publikum einerseits, die lateinamerikanischstämmige Bald-Mehrheit der USA andererseits hinzuaddiert.

Journalisten, Hipster und urbanes Publikum werden weiterhin von den Fashion-Ideen und den sympathischen Stellungnahmen für Queer Rights unterhalten. Dass man das musikalische Gebräu aber überhaupt aushalten kann, liegt an keiner dieser Komponenten, sondern an Lady Gagas persönlichem Talent zu rammdösig großen Hymnen für Unterfünfjährige und sentimentalen Nachteulen-Schleim, den sie in einigen Intros auslebt. Erneut ist das Auseinanderfallen des Pop-Musik-Moleküls zu bedauern. Die nicht mehr beiläufig beim Posieren entstandene, sondern zielgruppenorientiert ausgetüftelte Musik klingt – außer beim Hymnenschleim – die ganze Zeit nach Intention.

Aber auch die brillanten Fashion-Ideen, wie jüngst die berühmten Glas-Penis-Absätze, sind längst komplett von musikindustriellen Pflichtereignissen wie der Veröffentlichung dieses Albums abgekoppelte, autonome Kunstereignisse. Auf dem Wege zur High Art für Kenner fallen alle diese Disziplinen und Formate, in denen sich Lady Gaga versucht hat, auseinander. Schon ertappt man sich beim Betrachten der Bühnenbilder bei dem Gedanken, dass man sich in deren forcierter Kunstgewerblichkeit fast so gut Andre Heller’sche „begnadete Körper“ vorstellen kann, wie die „provokante“ Gaga, die sich auf der neuen Platte Sex mit möglichst vielen Ledermännern wünscht: „I want your Whiskey mouth/All over my blonde south“. Ein hübscher Reim.

So wie ihre Videos eine Zeit lang den Rest ihres Acts weit in den Schatten stellten, in letzter Zeit das Outfit entschieden ihre stärkste Seite bildete, Bühnenbild und Beats dagegen einbrechen, das Songwriting hin und wieder ein paar Überraschungen bereit hält, fällt der Act Lady Gaga in so viele Disziplinen auseinander wie ein mittelgroßes Mehrspartenfestival. Wie ein Kulturmanager fängt die Gaga an allen Ecken Publikum ein, das an den gegenüberliegenden wieder weglaufen könnte. Das alte Format Pop-Musik-Album kann da am allerwenigsten einen Zusammenhang stiften, das schaffen am ehesten integrierende Events, wo sich dann aber Leute begegnen, die sich nicht begegnen wollen.

Massenkulturelle Produkte mit Ambition müssen heute – wie es die „Simpsons“ vorgeführt haben – zugleich Vorschulkinder und übersättigte, hochschulgebildete alte Säcke erreichen. Das funktioniert aber nur über Dialektik – das Kindgerechte muss den Alten gefallen, der abgedrehte Intellektualismus den Dreijährigen – nicht über Spagat.

Pop-Musik hatte dafür ein Format, das davon lebte, dass man die Musik im Schatten der anderen Ideen einfach geschehen ließ. Investiert man zielgruppenhermeneutische Anstrengungen in Sound, kommt ein totes Industrieprodukt heraus. Oder die alles zusammenhaltende Einheit muss ein ganz neues Genre bilden. Das hat Lady Gaga zumindest versucht.

„Born This Way“ von Lady Gaga ist bei Universal/Interscope erschienen

Diedrich Diederichsen

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