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Kultur: Ich will eine Insel sein

In der DDR fühlte sie sich als Außenseiterin. In der BRD erst recht. Barbara Thalheim macht unzufriedene Musik

Die Szene spielt in Berlin, genauer: am Prenzlauer Berg. Ein paar Clubgestalten sitzen noch am Tresen, am Handgelenk blitzt die falsche Rolex. Der Kellner spült die Gläser. Vor dem Fenster radelt jemand in Schlangenlinien nach Hause, über den Dächern blaut der Morgen, der erste Straßenfeger kehrt das Laub zusammen. Eine Szene, wie sie Tresenpoeten ungezählte Male verkitscht haben. Doch diese hier ist anders. Sie stammt aus einem Lied, das eine ungewöhnliche Perspektive einnimmt. Denn der Kellner ist Akademiker, der Straßenkehrer ein Soziologe, der Wirt erteilt die letzte Ölung. Willkommen im „Café Sinnlos“, willkommen in der Welt von Barbara Thalheim.

Barbara Thalheim ist wieder da, und schon das ist nicht selbstverständlich. Mitte der Neunziger schwor die Liedermacherin, nicht mehr aufzutreten. Es sei alles gesagt, fortan schweige sie. Thalheim, das Mädchen aus der DDR, das so schön über den „Frühling auf der Schönhauser“ gesungen hatte, tauchte ab. Erst nach Paris, dann nach Neukölln – was von Ost-Berlin in etwa gleich weit entfernt liegt. Jedenfalls soziologisch betrachtet.

Gegen soziologische Betrachtungen hat Frau Thalheim nichts. Sie sitzt vor einem Teller Nudeln, die berühmten Locken stehen so widerborstig in die Sommerluft, wie sie sich selbst gerne gibt. Warum sie nicht mehr singen wollte? „Mein Stecker passte nicht mehr in die Steckdose.“ Das ganze bundesrepublikanische Halli-Galli, „die Wahl zum schönsten Arsch Europas, Schlammcatchen und dergleichen“, so viel öffentliche Dummheit habe sie stumm gemacht.

Inzwischen hat sie ihre Chandos-Krise überwunden. Und Worte gefunden für die Ungerechtigkeit, von der sie sich umgeben sieht. „Der Rockstar baut die Website für den Beauty-Salon / Die Galeristin sammelt Erfahrung beim Kondomversand / Unsere Hymne stadtbekannt heißt: Wir sind die Avantgarde ganz am Rand.“ Solche Bekenntnisse finden sich auf ihrer neuen CD, die frei nach einem Brecht-Wort „Insel sein“ heißt (Duophon). Die Insel, da braucht man nicht viel Fantasie, das ist bei Barbara Thalheim die DDR. Bloß welche?

Im Rückblick gibt es viele DDRs. Da ist ein graues Land hinter Stacheldraht, indem eine eisige Diktatur herrschte. Hinter jeder Ecke stand die Stasi mit dem Fernglas. Dann wäre da noch die kuschelige Idylle. Fröhliche Ampelmännchen sprangen darin umher und ließen den da oben einen alten Mann mit Hut sein. In den Weingläsern schwappte Rosentaler Kadarka, und zwischen den Sanddornbüschen am Nacktbadestrand hatten sich alle lieb.

Die DDR der Barbara Thalheim liegt irgendwo dazwischen. Sie sagt das so: „Mir ging es mit der DDR wie einer Mutter mit einem behinderten Kind. Natürlich habe ich sie immer verteidigt.“ Oder so: „Man konnte sich an ihr reiben. Und Reibung erzeugt Wärme.“ Natürlich, schlecht ging es ihr damals nicht. Als Tochter von Kommunisten, die im KZ gesessen hatten, schmierte sie im Oktoberklub Schmalzbrote und gründete ihre erste Band mit Streichern der Berliner Hochschule Hanns Eisler. Die Musikstudentin durfte singen – und sogar ins kapitalistische Ausland reisen, auch in die BRD. Damals hätte sie wie andere „drüben“ bleiben können. Warum sie es nicht getan hat?

Sicher, da war die Familie, aber auch die Abneigung der bekennenden „Osteuropäerin“ gegen „ein System, das ich damals schon zu sehr durchschaut hatte“.

Dann ist da noch die S-Frage. Thalheim unterschrieb eine Verpflichtungserklärung bei der Stasi. Da war sie 19 Jahre alt. 1996 machte „IM Elvira“ die verhängnisvolle Unterschrift öffentlich. Das war manchen zu spät. Verraten habe sie aber niemanden, darauf legt sie Wert. Heute wundert sie sich über die Belanglosigkeiten, die man damals festhielt.

Erinnerungen an die DDR, das sind für Thalheim auch die Angst bei Fernsehauftritten im Westen, die peinlichen Durchsuchungen bei der Einreise, der Parteiausschluss, die Auftrittsverbote. Die Lieder, die nicht auf dem Label „Amiga“ erschienen, die sie aber auf der Bühne gesungen habe: „Gestern kam der Staat bei mir vorbei“. Oder ihr erstes Lied. „Als ich 14 war, da riefen sie mich Tischlers Tochter“, heißt es darin. Berliner verstanden die Anspielung: Vorne platt und hinten gehobelt. Das Zentralkomitee aber fragte an, wie die junge Frau sich erdreisten könne, sich als Tochter des ehemaligen Tischlers Wilhelm Pieck auszugeben. Schnee von gestern. Heute ist das Lied Unterrichtsstoff in gesamtdeutschen Schulbüchern. Barbara Thalheim schüttelt kurz die Locken und zündet sich eine neue Zigarette an.

Ihren Platz im Geschichtsbuch des politischen Liedes will Thalheim noch nicht einnehmen. Wo auch? Der Typus Thalheim war schon in der schlagersüßen DDR-Musik ungewöhnlich, heute scheint er solitär. Sie ist keine Diva wie Hildegard Knef oder Gisela May, nicht so direkt wie Wolf Biermann oder Konstantin Wecker. Mit den Chansonetten aus der Berliner Kleinkunst- und Revuelandschaft will sie auch nichts zu tun haben, „die wollen doch nur unterhalten und produzieren dabei bloß Ablenkung“.

Barbara Thalheim hat es noch nicht aufgegeben. Seit einigen Jahren lebt sie wieder von der Musik, und es sind nicht nur die Rentner von der PDS, die ihre Konzerte besuchen. Sogar in Bayern füllt sie gelegentlich Hallen. Was sie damit erreichen will? Vielleicht kann man es so sagen: Die Chansonniers haben die Welt nur verschieden interpretiert. Barbara Thalheim kommt es darauf an, sie zu verändern. Sie wohnt jetzt wieder in Ost-Berlin.

Barbara Thalheim & Band: heute und morgen um 20.30 Uhr im Tränenpalast (U-Bahnhof Friedrichstraße, Mitte).

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