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Kultur: Ich will nicht sein wie du

Sie standen kurz vor der Auflösung: Jetzt kehren Travis mit „12 Memories“ zurück

Eine Fünfton-Melodie auf dem Piano, Gitarren plärren, im Hintergrund unauffällig der Bass und sogar ein Cello weht durch den Song, der sich „Quicksand“ nennt. Beim ersten Hören klingt Travis tatsächlich wie Treibsand: ein wenig melancholisch, ein wenig oberflächlich und verweht. „It’s just the sound of one more rock star bleeding“, singt Fran Healy, und vielleicht lächelt er, der selbst kein Rockstar sein will. Was soll’s bringen, sein Blut zu vergießen? Hat wenig Sinn in einer Welt der Wiederholungen. Es sind die Rituale, die uns retten („Everyday drinking in the same bar“).

Für eine große Pop-Karriere haben Travis erstaunlich wenig Geheimnisse. Weder werden ihnen Allüren nachgesagt, noch ein ausschweifender Lebensstil oder ein übertriebenes Mitteilungsbedürfnis attestiert. Trotzdem gilt das Quartett aus Glasgow derzeit als „erfolgreichste Band des Königreichs“. Und mit ihrem dritten Album „12 Memories“ (Independiente/Sony) untermauern sie ihren Anspruch auf eine ehrliche, direkte Rockmusik, hinter der all der glamouröse Hipness-Pomp des Showgeschäfts zurücktritt. „The Invisible Band“, die unsichtbare Band, hieß ihre letzte Platte. Genau das wollen sie sein. Selbst wenn der Großmeister des Pop-Porträts, der Fotograf Anton Corbijn, sie fürs CD-Cover vor seine Kamera stellt, wirken sie noch immer wie ein paar College-Studenten, die nicht wissen, was Musik mit Menschen anstellen kann.

Aber sie wissen es jetzt. Denn beinahe wäre die Freundesclique daran zerbrochen, dass sich alle Welt nach ihrem klaren, unprätentiösen Stil verzehrte. Fran Healy, der sämtliche Songs schreibt, warf im letzten Jahr ausgelaugt das Handtuch. „It’s over“, es ist aus, ließ er die anderen wissen. Doch dann sprang Schlagzeuger Neil Pimrose übermütig in einen Swimmingpool, der nur zur Hälfte gefüllt war, und brach sich drei Nackenwirbel. Er trieb eineinhalb Minuten bewegungslos mit dem Gesicht nach unten im Wasser, bevor Freunde ihn auf den Beckenrand zerrten und zu reanimieren versuchten. Es folgten Operationen und monatelang musste sich der passionierte Rallye-Fahrer einer quälend stupiden Reha-Behandlung unterziehen. So gewann die Band jene Zeit, die sie für eine Rückbesinnung brauchte.

Nicht ohne Grund versammelt das in einem schlichten Farmhaus an der schottischen Westküste eingespielte Werk „Zwölf Erinnerungen“. Es sind schöne Songs von einer selten authentischen Eleganz, und man sollte sie als Botschaften einer Band hören, die politische Verantwortung mit privaten Krisen verknüpft. Oder private Verantwortung mit politischen Krisen. So genau kann man das nicht erkennen.

Für „Peace The Fuck Out“, einem Kommentar über die Verlogenheit der britisch-amerikanischen Kriegsallianz, animierte Healy die Fans seines Lieblingsclubs, Celtic Glasgow, die Refrainzeile zu skandieren – ein wehmütiges Dokument des Volkszorns. Berührender ist dagegen „Paperclips“, mit dem der Musiker ein düsteres Kapitel seiner Kindheit aufarbeitet: „Don’t wanna be like you anymore/ I don’t wanna see your face at my door“, singt er an die Adresse seines Vaters gerichtet. Der hatte die Mutter sitzen lassen, als Fran noch ein Säugling war. Dessen Zorn lüftet sanfte Erinnerungsschleier.

Travis spielen am 27. November um 20 Uhr in der Berliner Columbiahalle.

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