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Regisseurin Mia Hansen-Løve, geboren 1981 in Paris.

© picture alliance / dpa

Interview mit Regisseurin Mia Hansen-Løve: „Ich wollte mal wieder richtig feiern gehen“

Der Musikfilm "Eden" führt in die Pariser House-Szene der neunziger Jahre. Regisseurin Mia Hansen-Løve spricht im Interview über ihr obsessives Verhältnis zur Jugend, die Nouvelle Vague und ihre Filmsprache.

Madame Hansen-Løve, was hat Sie zu dem Titel „Eden“ inspiriert. Abgesehen davon, dass es in den 90ern der Name eines Fanzines für elektronische Musik war?

„Eden“ ist ein schön schillernder Titel. Und er passt zu meiner Art des Filmemachens: Er ist konkret und hat zugleich eine poetischere Dimension. Schon bei der Materialsuche fürs Drehbuch bin ich auf dieses Pariser Fanzine gestoßen, das existierte ein paar Jahre lang, war sehr praktisch und passte in jede Tasche. Viele, die später in dieser Szene berühmt wurden, haben da regelmäßig geschrieben. Natürlich ist Eden auch das Paradies, und das bedeutet grundsätzlich: das verlorene Paradies. Dabei bin ich nicht besonders nostalgisch und sage: Ah, die Neunziger, das war die tolle Zeit!

Dabei wird die Jugend gern als Paradies verklärt, weil die Zukunft einem da so unendlich erscheint.
Zur Jugend habe ich ein fast schon obsessives Verhältnis, das ich auch in meinen Filmen zu bewältigen suche. Die Schwierigkeit, erwachsen zu werden, der Zwang zum Verzicht auf eine Form von Unschuld, überhaupt das feste Beharren auf Gefühlen: Darin steckt eine große Widerstandskraft. Paul, der DJ in „Eden“, verplempert seine Zeit, aber das erlaubt ihm erst, er selbst, am Ende vielleicht sogar Schriftsteller zu werden.

In französischen Kritiken heißt es missfällig, Paul „baut nichts auf“.
Viele Drehbuchseminare handeln davon, dass die Hauptfigur eine sinnvolle Entwicklung durchmachen soll, weil man damit den Erwartungen der Kinozuschauer entspricht. Nur: Passt das zur menschlichen Erfahrung? Ich finde es viel spannender, mit jemandem mitzufühlen, der herumirrt und eben nicht determiniert ist. Wir leben doch selber unstet, voller Umwege, und dann kommt man irgendwo an, womit man gar nicht gerechnet hat.

In „Eden“ tasten Sie sich chronologisch voran, keine Rückblenden, kein Voice over …
… keine Zeitlupen …

… richtig, bestimmt haben Sie einen Katalog erzählerischer Mittel, die Sie hassen?
Da berühren Sie einen empfindlichen Punkt. Viele Regisseure behaupten doch nur: Das hier ist richtiges Kino. Dabei sind das nur Effekte, zugegeben, verführerische Effekte. Ich will lieber die Spuren des Kinos so verwischen, dass man sie nicht mehr sieht. Man kann diese Diskretion für eine Abwesenheit von Stil halten. Dabei ist es genau umgekehrt. In meiner Sprache, meiner Arbeit als Regisseurin will ich so nah wie möglich das Leben abbilden.

Ihr Stil mit seinen flirrenden Suchbewegungen erinnert an Eric Rohmer. Sehen Sie sich als post-post-post-„Nouvelle Vague“?
Ja, total. Rohmer hat für mich enorm gezählt am Anfang, auch Truffaut und Bresson. Manche Kollegen meiner Generation setzen sich davon demonstrativ ab, aber da ist wohl eher das Prinzip Vatertötung im Spiel. So wie die Nouvelle Vague Werte, Beziehungen inszeniert hat, auch ihre Modernität und die Freiheit der Sprache – das ist bis heute unübertroffen. Kopieren kann man das nicht. Aber wenn es darum geht, das Kino wiederzuerfinden und zu befreien, dann will ich gerne eine Erbin der Nouvelle Vague sein.

Wie wichtig ist der Erfolg beim Publikum?
Zum Glück nicht so sehr, schließlich laufen meine Filme nicht besonders gut (lacht). „Eden“ ist in Frankreich gefloppt. Andererseits erfahre ich Anerkennung im Ausland, auf Festivals, meine Filme kommen in vielen Ländern ins Kino. Das gibt Selbstvertrauen.

Sie leben seit Langem mit dem Regisseur Olivier Assayas zusammen. Was überwiegt beruflich: Solidarität oder Rivalität?
Die Solidarität, absolut. Gegen Rivalität hilft vielleicht auch unser großer Altersunterschied. Ich weiß nicht, was meine Arbeit Olivier bringt, aber umgekehrt inspiriert mich diese Nähe sehr. Ich führe einen geheimen, sehr bewussten, stimulierenden Dialog mit seiner Art des Filmemachens. Und ich weiß: Eines Tages muss ich über das Thema Künstlerpaar einen Film drehen.

In Ihren Filmen finden sich überhaupt häufig recht autobiografische Bezüge.
Ja. Aber nicht linear. Das Erlebte ist ja nur der Ausgangspunkt, um in der Freiheit der Fiktion anzukommen. Es ist wie ein verbürgter Grund und Boden, zu dem die Schauspieler ihre eigenen Erfahrungen dazutun. Auch wenn das sehr widersprüchlich scheint, aber diese doppelte Bewegung braucht es: immer nach innen und zugleich raus in die Welt.

In Ihrem letzten Film „Un amour de jeunesse“ geht es darum, eine Liebe abzuschütteln, die einen partout nicht loslassen will. Gelingt das in der Kunst?
Ja. Doch. In allen meinen Filmen sehne ich mich, eine Leere zu überwinden. Truffaut sagte, entweder macht man Filme, um die Wirklichkeit zu beschreiben oder um sie zu korrigieren. Ich will beides. Meine Arbeit soll mir – pragmatisch, konkret, ja, eigennützig – zu etwas verhelfen, was mir tatsächlich im Leben fehlt.

Und wie war das bei „Eden“?
Das hatte auch mit der brennenden Lust zu tun, wieder mal feiern zu gehen. Ich habe ja jahrelang recht asketisch gelebt, bin abends kaum mehr losgezogen. In „Eden“ konnte ich mit den jungen Leuten die Jugend wiederfinden. Und eine Leichtigkeit, die ich verloren geglaubt hatte.

Das Gespräch führte Jan Schulz-Ojala.

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