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Interview: „Ich wünsche mir Arbeiten von Dauer “

Das Hebbel am Ufer eröffnet wieder: die neue Intendantin Annemie Vanackere über Berliner Tempo, Konkurrenz und Etikette.

Eine Theatereröffnung hat immer einen Zauber. Und hier umso mehr: Seit Ende Juni war das Hebbel am Ufer wegen Renovierung geschlossen. Der alte, schon legendäre HAU-Chef Matthias Lilienthal wirkt jetzt in Beirut, und das Team um Annemie Vanackere bereitet sich auf den Sprung in die Zukunft vor, die im Theater immer nur Gegenwart sein kann. Am 1. November geht es mit einer Doppelvorstellung los: Im HAU 1 spielen Jérôme Bel und das Theater Hora, im HAU 2 zur gleichen Zeit die Gruppe Wunderbaum aus Holland mit „Vision out of nothing“, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit wird die neue Intendantin begrüßen. Annemie Vanackere stammt aus Belgien, sie hat u. a. in Paris Philosophie studiert und ging in die Theaterpraxis. Zuletzt hat die 46-Jährige die Schouwburg in Rotterdam geleitet. Das Hebbel am Ufer ist in Europa einer der wichtigsten Orte für zeitgenössische Theaterformen.

Frau Vanackere, waren Sie schon im Berliner Zoo?
Vorgestern fast! Dann habe ich es leider doch nicht geschafft. Aber vor Ende des Jahres will ich unbedingt noch hin. Wieso fragen Sie?

Wegen der neuen Plakate des HAU. Darauf sind unter anderem Panther, Affen, Fuchs und Dohle abgebildet. Treten Sie ein für ein animalisches Theater?

Die Imagekampagne zielt darauf, eine andere Perspektive einzunehmen. Sie erzählt etwas über den Blick der anderen, in diesem Fall der Tiere, auch über Machtverhältnisse. Ständig kommen übrigens Leute vorbei und wollen ein Plakat, der Panther ist sehr gefragt, der Fuchs auch.

Sie sind viel mit dem Rad in Berlin unterwegs, was gesunde Todesverachtung beweist. Was treibt die Stadt um?

Ich habe lange in Holland gelebt, da sind Fahrräder king of the road. Hier haben die Kollegen manchmal Angst um mich und bitten: Telefonier nicht auf dem Rad, schon gar nicht auf der Potsdamer Straße! (Lacht) Natürlich fällt mir unterwegs auf, wie bestimmte Kieze sich verändert haben. In Mitte, wo ich vor zehn, zwölf Jahren oft im Theater war, gibt es immer noch tolle Läden. Aber es ist viel touristischer geworden, teurer, angestrengter. Vielleicht sollte ich mit dem Rad noch andere Viertel erkunden, Marzahn zum Beispiel.

Wo spüren Sie Reibungsflächen?

Der Leistungsdruck ist sehr stark, dieser Drang, sich zu behaupten. Viele Leute müssen einem gleich vermitteln, was sie schon alles auf die Beine gestellt haben. Das kenne ich so nicht, das finde ich persönlich irritierend.

Ihr Eröffnungsprogramm ist ambitioniert, im ersten Monat zeigen Sie fast 50 Vorstellungen. Das Prinzip Overkill?

Der Gedanke ist ein bisschen prosaischer. Ich möchte möglichst viele der Künstler präsentieren, die ich neu mitbringe. Kollektive aus den Niederlanden wie Wunderbaum oder Schwalbe, aber auch internationale Namen wie Leonardo Moreira aus Sao Paolo oder Kornél Mundruczó aus Budapest. Das lag mir mehr am Herzen, als ein thematisches Programm an den Anfang zu setzen.

Laurent Chétouane und Meg Stuart sind in Berlin beschriebene Blätter. Die waren bislang bloß an anderen Häusern.

Ich würde nie über meine Künstler sprechen. Damit tut man auch den Künstlern keinen Gefallen. Laurent und ich sind seit längerem im Gespräch. Und mit Meg Stuarts Arbeiten ist meine Biografie als Zuschauerin und Produzentin seit über zwanzig Jahren verknüpft. Das Neue wird auch überschätzt. Unbeschriebene Blätter – that’s boring!

Zum Auftakt zeigen Sie Jérôme Bels „Disabled Theater“, eine Arbeit mit geistig behinderten Schauspielern. Da dürfte wenig Kritik kommen.

Die Vorstellung ist schon viel gereist. Was ich tatsächlich gehört habe, ist, dass an manchen Orten dauernd geklatscht wurde. Nach dem Motto: Wie berührend, was die machen. Das ist schade, weil es neutralisiert. Aber es liegt nicht in der Struktur der Inszenierung. Sondern Jérôme fragt, was ist Behinderung in dieser Gesellschaft. Und wo haben wir selbst unsere Handicaps? Die Spieler sind enorm präsent und autonom, sie machen sich keine Gedanken, was cool ist. Gehen Sie noch manchmal tanzen?

Eher nicht.

Schade, oder? Wenn man es doch mal wieder tut, ist es so befreiend. Der Abend hat mich auch darüber nachdenken lassen, wie wir mit unserer eigenen Körperlichkeit umgehen.

Was reizt Sie an Mundruczó? Der macht aus J. M. Coetzees Roman „Schande“ einen stumpfen Gewaltporno.

Als ich die Vorstellung in Brüssel gesehen habe, sind einige Zuschauerinnen gegangen, bei der Vergewaltigungsszene, die Kornél an den Anfang setzt. Die ist hart, natürlich. Aber dadurch, dass er immer wieder Distanz schafft und klar macht, dass wir eine Theatervorstellung sehen, kann er sehr genau über Gewalt erzählen. Der Roman spielt in Südafrika, aber so, wie Kornél ihn sich aneignet, wird es eine Geschichte über kippende Machtverhältnisse in Europa.

Sie haben angekündigt, das HAU solle noch internationaler werden. Wie geht das?

Berlin ist viel internationaler geworden. Allein im Tanzbereich sind mehr als die Hälfte der Künstler Einwanderer. Ich wünsche mir, dass die eigenen Produktionen am Haus so gepflegt werden, dass sie international mehr touren können. Arbeiten mit einem längeren Leben. Streichen Sie das „noch“: Ich möchte das HAU als die internationale Theaterbühne in Berlin weiterführen, die es ist.

International ist auch das Festival „Foreign Affairs“, mit dem Sie künftig in Konkurrenz stehen. Wie gehen Sie damit um?

Indem ich mit dem zukünftigen Leiter im Gespräch bleibe. Exklusivitätsansprüche habe ich nicht, ein Festival oft schon. Wir sind Konkurrenten und Kollegen zur gleichen Zeit. Mit Matthias von Hartz habe ich zusammengearbeitet, als ich in Rotterdam war und er in Hamburg. Soll das keinen Wert mehr haben, bloß weil wir jetzt in der gleichen Stadt tätig sind? Das Nature Theater of Oklahoma wollten wir beide zeigen, also machen wir es zusammen. Die großen Arbeiten von Anne Teresa De Keersmaeker könnten bei „Foreign Affairs“ laufen, aber auch beim Festival „Tanz im August“, das zukünftig in unserer Verantwortung steht. Da müssen wir uns offen und klug austauschen.

Vom Ballhaus Naunynstraße haben Sie sich dagegen abgegrenzt. Sie sprachen von einer „Fixierung auf migrantischen Hintergrund“, die Gräben vertiefe.

Damit wollte ich nur ausdrücken, dass ich eine andere Auffassung habe, wie man diese Themen anstoßen kann. Mitte der Neunziger gab es in Rotterdam die Vorgabe vom Kulturminister, sich mit Multikulturalität zu beschäftigen. Einerseits eine wichtige Auseinandersetzung. Andererseits hat sie sehr viel schlechte Kunst produziert und einen Markt für Vermittler geschaffen. Diese Etikettierung führt letztlich auch dazu, dass Künstler sich ihr verweigern und spannende Geschichten nicht erzählen.

Viel Spielraum haben Sie am HAU nicht, der Etat bleibt bei 4,6 Millionen Euro pro Jahr. Haben Sie nicht versucht zu verhandeln, Bedingungen zu stellen?

Die Mittel sind tatsächlich knapp. In absoluten Zahlen ist es im Vergleich zu holländischen Theatern erst mal gar nicht wenig. Aber angesichts dessen, was wir dafür leisten und bezogen auf den künstlerischen Output, eben doch. Jetzt habe ich erstmals einen Antragszyklus beim Hauptstadtkulturfonds erlebt, das ist schon spannend. Ich werde weiter kämpfen!

In Rotterdam haben Sie ein Produktionshaus aufgebaut, das gezielt Nachwuchs fördern konnte. Wird Ihnen das fehlen?

Wie Sie wissen, ist seit dem Kulturkahlschlag in Holland davon nicht viel übrig geblieben. Aber natürlich habe ich die Freiheit geschätzt, jemandem Geld geben zu können, damit er eine spannende Idee in Ruhe entwickeln kann. Hier, kauf dir ein bisschen Zeit! Projektförderung lässt das nicht zu. Die Geschwindigkeit, mit der Künstler hier produzieren müssen, finde ich hart.

Sie haben das kleine Nieuwpoorttheater in Gent geleitet, dann die renommierte Schouwburg in Rotterdam, jetzt das HAU. Sind Sie ein zielstrebiger Mensch?

Zielstrebig? Nein. Ich bin fokussiert in dem, was ich mache. Ich hatte auch das Angebot, mich für ein großes Theater in Frankreich zu bewerben. Meine Ambition ist es aber nicht, ein großes Haus zu haben. Ich will ein gutes Leben.

Das Gespräch führte Patrick Wildermann.

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