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Kultur: Ihre Aktie steigt

Die Berliner Künstlerin Maria Eichhorn erhält den Arnold-Bode-Preis der Documenta

Maria Eichhorn hat es geschafft: Heute erhält sie in Kassel den Arnold-Bode-Preis, der zum Gedenken an den Documenta-Gründer seit 1980 vergeben wird. Ihre Vorgänger waren Gerhard Richter, Gerhard Merz, Rebecca Horn, Wolfgang Laib, Thomas Schütte, Olaf Metzel und Stan Douglas. Der Weg zur Spitze war für die Berliner Documenta-Teilnehmerin kurz. Kaum hatte sie die Kunsthochschule verlassen, wurde sie von dem damals mächtigsten Kurator Berlins, Christos Joachimides, für die internationale Schau „Metropolis“ 1991 im Martin Gropius Bau beteiligt. Er legte die Latte herausfordernd hoch, indem er ihr als einziger Künstlerin einen ganzen Raum allein zur Verfügung stellte. Sie nahm die Hürde elegant und blieb mit einem Wandbild glänzend in Erinnerung.

Kurz darauf tauchte sie auf der „Aperto“-Schau der Venedig-Biennale auf. Ein solch rascher Aufbruch in internationale Gewässer war für eine junge Künstlerin aus Berlin damals Ausnahme. Und sogleich herrschte in der Kunstwelt Konsens: A star is born.

Doch von Stars wird erwartet, dass sie sichtbar bleiben und möglichst spektakulär funkeln. Das tat Maria Eichhorn nicht. Sie verschwand hinter Gesten, Regeln und Konzepten. Der Kurator Hans Ulrich Obrist lud sie zur mittlerweile legendären Ausstellung „Hotel Carlton“ in Paris ein. Ihr Beitrag bestand darin, die Glühbirne des Zimmers durch eine niedrigere Wattzahl zu ersetzen. Wer kam, sah ihre Tat nicht, obschon sie die Bedingung war, überhaupt zu sehen. Bereits in einer Interaktion 1990 hatte sie sich mit dem „Sehen“ von Blinden beschäftigt, um die Macht des Nichtsichtbaren in den Blick zu bekommen.

Mitte der neunziger Jahre begann sie, sich beharrlich für Regelsysteme auf Grundlage bestehender Gesetze zu interessieren. Sie präsentierte sachliche Berichte, lapidare Spielregeln und langwierige Vertragsabschriften. Ihr Arbeitsfeld konzentrierte sich auf Behördengänge. In Rotterdam erfand sie Regeln für eine Preisverleihung, in Salzburg erstellte sie einen „Künstlerverkaufs- und Rechtsabbtretungsvertrag“ und in Münster focht sie anlässlich der „Skulpturen-Projekte“ 1997 einen Eigentumsvertrag für ein Grundstück durch die behördlichen Instanzen. Immer ging es um Bedingungen für Tauschaktionen, Aneignungsprozesse und Umwertungen. Der Höhepunkt besteht darin, Kunst in nichts aufzulösen. In der Berliner Galerie Barbara Weiss hat sie 1997 ihre Ausstellung aus dem Jahr 1995 identisch wiederholt – abzüglich der verkauften Objekte. Diese Ausstellung wiederholte sie wiederum 1999 – abzüglich weiterer Verkäufe.

Dem Ideal absoluten Stillstands gab sie bei ihrer Arbeit auf der Documenta einen genialen Dreh. Sie gründete eine Aktiengesellschaft für totes Kapital. Die Einlage über 50 000 Mark darf weder in die Geldzirkulation einfließen, noch zur Mehrwertschöpfung verwendet werden und liegt als Geldstapel in einem Sarg aus Glas im Fridericianum Kassel. Wird diese ins Werk gesetzte Totgeburt aber als Kunstwerk verkauft, gilt der von der Galerie definierte Preis und wird ideell wieder lebendig.

Joseph Beuys hat eine Goldkrone in einen Hasen umgeschmolzen und im Glassarg versiegelt. Eichhorn kommt ohne alte Symbole aus. Bei ihr trägt alles den Behördenstempel. Sie ist die einzige Künstlerin, die mit dem Gesetzbuch unter dem Arm ins Atelier hineingeht und mit Kunstwerken wieder herauskommt. Peter Herbstreuth

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