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Kontrabassist Raed Jazbeh

© Ingo Wagner/dpa

Syrisches Orchester in Bremen: Im gelobten Klassikland

Fremdes Land, vertraute Klänge: In Bremen gründet der in Aleppo geborene Kontrabassist Raed Jazbeh ein syrisches Orchester, das "Syrian Expat Philharmonic Orchestra".

Was macht ein Musiker, der aus seiner Heimat flüchten muss? Er versucht, sobald er sicheren Boden erreicht hat, wieder Musik zu machen. Kaum, dass sich der Dirigent Zoltán Rozsnyai nach dem ungarischen Volksaufstand in ein Flüchtlingslager bei Wien gerettet hatte, begann er, über die Gründung eines neuen Orchesters nachzudenken. Tatsächlich fanden sich schnell genug Profis unter seinen Landsleuten und Leidensgenossen: Die Philharmonia Hungarica gab ihr Debüt im Mai 1957, zwei Jahre später siedelte sie ins nordrheinwestfälische Marl über, wo das Klassikensemble bis zum Zusammenbruch des Ostblocks institutionell gefördert wurde.

Auch der in Aleppo geborene Kontrabassist Raed Jazbeh, den das Schicksal nach Bremen verschlagen hat, wollte nicht darauf verzichten, seine Gefühle in Tönen auszudrücken. Am heutigen Dienstag debütiert das von ihm initiierte „Syrian Expat Philharmonic Orchestra“ in der norddeutschen Hansestadt. Seit dem Sommer 2013 lebt Jazbeh in Deutschland. Nach einem Auftritt mit dem Arab Youth Philharmonic Orchestra beim Berliner Young-Euro-Classic-Festival entschlossen sie sich, nicht mehr nach Syrien zurückzugehen.

Der Traum: regelmäßige Auftritte

Nachdem er bereits mit Freunden eine Kammermusikformation gegründet hatte, gelang es ihm nun, 50 Musiker aus seiner Heimat über einen Facebook-Aufruf zu kontaktieren. Manche sind erst seit ein paar Wochen in Deutschland, wer sein Instrument zu Hause zurücklassen musste, bekommt eines von der Bremer Musikschule geliehen, deutsche Musiker füllen die Pulte auf, die derzeit noch nicht von Syrern besetzt werden können.

Seit Samstag wird unter der Leitung des Dirigenten Martin Lentz geprobt. Der Konzert eröffnet Mendelssohns Ouvertüre „Heimkehr aus der Fremde“, neben Werken von Schubert und Tschaikowsky sollen auch Stücke arabischer Komponisten erklingen. „Wir möchten den Menschen eine andere Seite Syriens zeigen“, sagt Raed Jazeh. „Eine Seite, die nicht von Gewalt und Terror erzählt, sondern von Musik und Leben.“ Sein Traum ist es, ein regelmäßig auftretendes Orchester in Europa zu werden.

Das Debütkonzert ist restlos ausverkauft

Was ja tatsächlich nicht ausgeschlossen ist, wenn die künstlerische Qualität stimmt. Auch das heute weltweit geschätzte Israel Philharmonic Orchestra formierte sich 1936 als Exilanten-Ensemble: Alle Gründungsmitglieder kamen aus Osteuropa und waren vor dem kommunistischen Antisemitismus nach Palästina geflohen.

Unmittelbar mit dem Zweiten Weltkrieg ist die Entstehung der Bamberger Symphoniker verknüpft: Nachdem das Deutsche Philharmonische Orchester Prag 1945 aufgelöst worden war, fand die Irrfahrt ihrer Mitglieder in Oberfranken ein glückliches Ende. Heute sind die von den Vertriebenen gegründeten Symphoniker der Stolz der Stadt und tragen den Titel „Bayerische Staatsphilharmonie“.

Ins gelobte Klassikland zog es 1990 auch gleich eine komplette, seit 1964 aktive Truppe von Musikern aus Tiflis: Als Georgisches Kammerorchester prägen die Exilanten seitdem das Kulturleben in Ingolstadt.

Ob aus dem Projekt des „Syrian Expat Philharmonic Orchestra“ eine dauerhafte Einrichtung werden kann, deren Mitglieder neben dem Applaus auch noch auskömmliche Gagen erhalten, steht in den Sternen. Derzeit wird das Projekt allein vom Enthusiasmus aller Beteiligten sowie durch Spenden getragen. Das heutige Debütkonzert immerhin ist restlos ausverkauft.

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