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Kultur: Im "Haus am Waldsee" suchen alte und junge finnische Künstler nach der verlorenen Zeit

Seit ihrem Amtsantritt 1995 sammelt die künstlerische Leiterin des Haus am Waldsee, Barbara Straka, Zeugnisse zur "Art of Memory". Während in anderen Häusern die Kunst nicht Pop-artig, nass und jung genug sein kann, sieht Straka die Zukunft im Zurück.

Seit ihrem Amtsantritt 1995 sammelt die künstlerische Leiterin des Haus am Waldsee, Barbara Straka, Zeugnisse zur "Art of Memory". Während in anderen Häusern die Kunst nicht Pop-artig, nass und jung genug sein kann, sieht Straka die Zukunft im Zurück.Ihre Ausstellungen heissen progammatisch "Die Römische Spur", "Selbstidentifikation" oder "Wiederkehr der Geschichte - Ende der Utopien". Doch das Konzept behagt nicht allen, die bei Strakas Vorgänger Thomas Kempas in der lichtdurchfluteten Villa einen unbeschwerten Blick auf Fotografie und Skulptur zu schätzen gelernt hatten. Mit Straka wurde es im Haus am Waldsee etwas schwerer. Möglicherweise hat sie sich so sehr in der Gedächtniskunst heimisch gemacht, daß sie nun überall Gedächtniskünstler sieht - auch in Finnland.

"Die Befragung der Geschichte in ihrer Bedeutung für das kulturelle Gedächtnis ist auch ein zentrales Thema der finnischen Kunst der neunziger Jahre", schreibt sie und bringt einen wenig beachteten Aspekt in den finnischen Kunstdiskurs. Denn bislang dachten auch dort die meisten Kritiker und Kuratoren, Impuls und Richtung der stärksten Künstler dieser Dekade lägen im Gegenteil darin, sich von der Geschichte zu befreien und die Väter entweder zu ignorieren oder zu beseitigen, um einen klaren Blick auf die rohe Poesie des Alltags zu bekommen. Dafür stehen die Bildkünstler der letzten Jahre, die auf Biennalen und Gruppenausstellungen außerhalb Finnlands präsent waren und in Finnland selbst die renommiertesten Preise bekamen oder sich ganz einfach auf dem Markt behaupten: Esko Männikkö, Nina Roos, Henrietta Lehtonen, Eija-Lisa Ahtila, Jukka Korkeila, Temu Määki, die Filmer Aki und Mika Kaurismäki, von dem unerhörten Klang der Tonkünstler gar nicht zu reden. Gemeinsam ist ihnen einerseits eine merkwürdig menschliche Wärme, die auf dem Kontinent ihresgleichen nicht hat, und andererseits eine Neigung zu fremdartigen Bildern, die außerhalb Finnlands bizarr erscheinen.

"Auf der Suche nach der verlorenen Zeit": Ihren Titel hat die Ausstellung bei Marcel Proust geborgt. Osmo Rauhala, Lauri Laine, Maaria Wirkkala illustrieren das Thema zeichenhaft. Rauhala mit Elch auf monochromem Grund, Laine als Verbindung von Grundrisszeichnungen meist römischer Gebäude mit Gewandstudien. Wirkkala hat eine Installation mit offenen Büchern an der Wand angebracht. Durch die Seiten bläst eine Windmaschine und lässt die Blätter rauschen. Konzeptkitsch gibt es überall. Und es scheint, daß diese, zur Generation von Andreas Gursky und Thomas Schütte ihr Pulver bereits verschossen haben.

Mittlerweile kombinieren sie die eigenen Bestände und die Farben verblassen: Entropie. Manche ältere Künstler sind den jüngeren aber in der Ökonomie der Mittel gegenüber dem selbstgewählten Thema überlegen. Pentti Sammallahti ist ein Fotograf alter Schule. Er fotografiert Szenen aus dem Landleben der kargen schneebedeckten weiten Ebenen im Norden. Seine schwarz-weißen Panoramen lassen die Figuren wie graugegerbte Monumente in ausbalancierten Kompositionen erscheinen. Sammallahti zeigt eine harmonische Welt. Doch eröffnet wird die Ausstellung mit dem Brandstifter Jyrki Parantainen, der in den Innenräumen alter Häuser Feuer legt, das Lodern der Flammen ablichtet und es in großen Dialeuchtkästen als schöne Destruktion präsentiert.

Das Bild wirkt trotz des Brandherdes gefahrlos wie der Blick in einen knisternden Kamin und stimmt den Betrachter auf Moll, während der jüngste Beteiligte, der Mittdreissiger Seppo Renvall, mit einem flackernden Bildsturz aus zerhackten verwackelten Filmen von Ausflügen und Urlaubsreisen jede Wahrnehmung unmöglich macht: ein Loop aus Flimmern und Rauschen.

Künstler stellen gerne in Berlin aus. Aber Werkentwicklungen, die innerhalb einer Stadt Bedeutung haben, lassen sich nicht umstandslos exportieren. "Art of Memory" ist zwar ein universales Thema, aber Helsinkis Künstler haben darin keine Meisterschaft entwickelt. Man kann nichts lernen, was es nicht schon gäbe. Das heißt nicht, daß es in Finnland keine Künstler gäbe, die außerhalb des Landes etwas zu sagen hätten. Aber gegenüber den sechziger und siebziger Jahren - Boltanski, Kiefer, Pasolini, Beuys - sind die neunziger Jahre zum Thema Erinnerung insgesamt schwach, von jüngeren Künstlern beschäftigen sich die Besten mit anderen Themen. Warum das ist so, wäre ein Nachdenken wert. Aber das Thema erzwingen zu wollen, bringt die falschen Ergebnisse. Die Ausstellung lädt das Berliner Publikum zum Spiel der 2. Liga Helsinkis ein. Das Thema ist gerettet, das Ansehen der Künstler nicht.Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30; bis 28. November; Dienstag bis Sonntag 12 bis 20 Uhr. Katalog 20 Mark

Peter Herbstreuth

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