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Kultur: Im Männerrevier

Bars, Boulevards, Bordelle: die Ausstellung „Femme Flaneur“ in Bremen

Die Mobilität der modernen Welt strahlte früh auf die Künstler aus. Charles Baudelaire erklärte in seinem berühmten, 1863 erschienenen Essay „Le peintre de la vie moderne“, dass es für einen Künstler keinen größeren Genuss gäbe, als „draußen zu sein und sich doch überall zu Hause zu fühlen; die Welt zu sehen, mitten in der Welt zu sein und doch vor der Welt verborgen zu bleiben.“ Baudelaires Rat, „sich der Menge zu vermählen“, galt männlichen Kollegen. Er begründete einen neuen Künstlertypus: den Flaneur, der mit Walter Benjamin und Franz Hessel später auch in Berlin Triumphe feierte. Gleich ob Dichter oder Maler: Diese Künstler ließen sich nicht mehr in gelehrten Zirkeln oder durch die freie Natur inspirieren, sondern durchforsteten Boulevards, Bars und Bordelle nach neuen, erregenden Motiven.

Scheinbar ziellos umherstreifende Künstlerinnen hingegen tauchten erst vier Jahrzehnte später, um 1900, auf. Das Bonner August-Macke-Haus widmet den Malerinnen unter diesen „Femmes Flaneur“ eine von der Kunsthistorikerin Rita E. Täuber kuratierte Ausstellung, die nun im Bremer Paula-Modersohn-Becker-Museum gastiert. Dort ergänzt sie perfekt die ständig ausgestellten Werke der in ihrem Emanzipationsstreben an ganz anderen Motiven interessierten Paula Modersohn-Becker – und bildet zugleich einen kuriosen Gegensatz zur zeitgleich entstandenen Heimeligkeit der Bremer Böttcherstraße, wo das Museum untergebracht ist. Die Jahre um 1900 kultivierten eben beides: Ausbruch und Rückzug.

Frauen aristokratischer oder bürgerlicher Herkunft blieb es bis zur Jahrhundertwende zumeist verwehrt, „sich der Menge zu vermählen“, ohne ihren guten Ruf zu riskieren oder sogar von der Sittenpolizei festgenommen zu werden. Ohne Begleitung ins Theater oder Museum – das mochte gerade noch gehen. Aber sich treiben zu lassen, aus der Anonymität heraus zu beobachten, sich bis in schlecht beleumundete Vergnügungsviertel vorzuwagen? Lange undenkbar. Doch schon vor dem Ersten Weltkrieg – der das Geschlechterbild gründlich ins Wanken brachte – eroberten selbstbewusste Frauen neben Universitäten und Akademien auch die Straße und die männlichen Sperrbezirke. Allzu bekannt geworden sind Malerinnen wie Ida Gerhardi, Jeanne Mammen oder Elfriede Lohse-Wächtler trotzdem nicht.

Dabei orientierten sie sich an Künstlern wie Degas und Toulouse-Lautrec, die Paris zum Laboratorium moderner Leidenschaften erklärt hatten, später an Dix oder Picasso. Die Affinität der großen Franzosen zum Milieu und zum Mythos Paris bemüht derzeit Götz Adriani in der opulenten Ausstellung „Bordell und Boudoir“ der Tübinger Kunsthalle. Die Bremer Ausstellung indes erzählt trotz der Bescheidenheit ihrer 70 meist kleinformatigen Werke, wie sich die Lust der Überväter am bürgerlich nicht Sanktionierten auf eine Generation jüngerer Künstlerinnen übertragen hat – jenseits der angestammten Musenrolle, wie sie der Kunstbetrieb Frauen bis dahin zugebilligt hatte. Unabhängig auch davon, ob die Malerinnen tatsächlich in der Seine- Metropole studieren konnten oder sich, nach 1914, auf Berlin, Dresden, München beschränkten.

Malen Frauen anders als Männer? Gibt es in der Kunst einen spezifisch weiblichen Blick auf Großstadtvergnügungen wie den käuflichen Sex? Einerseits finden sich in Bremen keine pornografischen Szenen, werden Barmädchen und Prostituierte nie exhibitionistisch vorgeführt. Andererseits bleibt die Faszination, die damals von dem in Literatur und Malerei gleichermaßen zum antibürgerlichen Gegenentwurf stilisierten Nachtleben ausging, auch bei den ausgestellten Künstlerinnen deutlich spürbar.

Derartige Romantik gehört, nachdem es in der Malerei nicht mehr vorrangig um die Interpretation von Wirklichkeit geht, heute zum abgelegten Teil der Kunstgeschichte. Noch immer berührt dagegen, wie selbstbewusst sich etwa Lou Albert-Lasard oder Charlotte Berend-Corinth der erotischen Ausstrahlung des eigenen Geschlechts nähern. Die Lithografien, mit der die Frau von Lovis Corinth 1919 die berühmte Nackttänzerin Anita Berber unbekleidet porträtierte, könnten in ihrer offensiven Sinnlichkeit genauso gut von ihrem Mann stammen.

Paula-Modersohn-Becker-Museum Bremen, bis 3. April, tägl. außer montags 11-18 Uhr. Katalog 15 €.

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