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Kultur: Im Märchenland blättern die Farben

Melancholie und Unschärfe: Fotografien von Gregory Crewdson und Sibylle Bergemann bei C/O Berlin

Es ist die perfekte Bühne für einen Film. Der amerikanische Fotokünstler Gregory Crewdson steht im majestätisch hohen Saal des ehemaligen Postfuhramts an der Oranienburger Straße und ist begeistert: Man sieht förmlich den Film, der vor seinen Augen angesichts der pittoresken Schäbigkeit der Halle abläuft. Ein Film, der mit Vergänglichkeit, Leere und schönem Schein zu tun hat – nicht umsonst hat Crewdson seine jüngste Serie „Sanctuary“ in den malerisch heruntergekommenen Kulissen von Cinecittà gedreht. Diese Nostalgie ist es, die Berlin so attraktiv macht für die Romantiker der Jetztzeit, die Künstler und Raumpioniere, die noch immer, in der Mitte der Stadt den Charme des Vorübergehenden finden.

Wirksam geworden ist dieser Vergänglichkeitsbonus gerade wenige Meter weiter im Monbijoupark, bei der Gruppenausstellung „Based in Berlin“. Künstler und Kuratoren begeistern sich für die Möglichkeiten der verlassenen Atelierbauten der Kunsthochschule Weißensee – und plädieren für die Erhaltung der Hallen. Deren Abriss ist vorerst gestoppt, der Bezirk verhandelt neu. Und die Fotogalerie C/O Berlin, die längst in einen anderen Film, halb Wirtschaftskrimi, halb Politik-Machtspiel verstrickt ist, hofft nun, den Ort für die Kunst retten zu können. Die Gespräche verlaufen positiv. Bald, so Pressesprecher Mirko Nowak, weiß man mehr.

Derzeit untermauert C/O Berlin mit einer raschen Folge wichtiger Ausstellungen (Ostkreuz, Mapplethorpe, Fritz Eschen) ihre Bedeutung. Die beiden sehr unterschiedlichen Fotografen, die nun zur Sommerausstellung zusammengespannt wurden, treffen sich auf einem geradezu unwahrscheinlichen Punkt der Verwandtschaft im fast schon Unendlichen der größtmöglichen Flüchtigkeit. Gregory Crewdson, der 1962 geborene Bühnenbildner des amerikanischen Traums, der mit minutiös arrangierten Großformat-Tableaus das Lied von der Unbehaustheit, Einsamkeit und Fremdheit spielt, und die im November 2011 verstorbene Berliner Fotografin Sibylle Bergemann, die seit Jahrzehnten in Polaroids den fragilen, flüchtigen Augenblick festhielt. Das Buch mit ihren Polaroids bei Hatje Cantz hat sie noch selbst mit vorbereitet, die Ausstellung betreut ihre Tochter.

Crewdson und Bergemann, das ist der große Aufschlag und der zarte Punkt am Schluss. Monumental die Lebenswelten, die Crewdson in der Serie „Beneath the Roses“ (2003 - 2008) entwirft. Ein Vorort- Amerika der schwüldunklen Nachtstunden, in denen die Straßen leer sind und die Häuser still, in denen eine Laterne, eine Ampel, ein Auto einsame Lichtpunkte setzen. Der Blick auf Hütten und Trailer ist an Hopper und Lynch geschult, auf endlosen Eisenbahnschienen, Telegrafenmasten, verlassene Spielplätze. Einsame Menschen, die sinnend auf dem Bett sitzen oder allein über die Straße gehen. Protagonisten eines Dramas, das nur sie kennen und das man doch schon oft gesehen zu haben meint – und das mit der Wirtschaftskrise neue Dringlichkeit bekommen hat. All diese Häuser mit abblätternder Farbe, Verkörperungen des Traums von Wohlstand und Beständigkeit – man stellt in Gedanken ein „Zu verkaufen“- Schild davor.

Die Bilder erinnern an Filmsets und wie Filme entstehen sie auch, mit Locationsuche, ausgeklügelter Beleuchtung und akribischem Setdesign. Daher die Künstlichkeit, die Überschärfe, das Arrangement jedes Details. Näher an Sibylle Bergemann ist eine Serie von 1996, die Crewdson für die Ausstellung wieder hervorgeholt hat: „Fireflies“, Aufnahmen von Glühwürmchen, die er in der Waldhütte seiner Eltern in Massachusetts beobachtet hat. Hier ist er, der „elusive Moment“, hingewischt in den fast schwarzen Aufnahmen, über die unscharf die Punkte der paarungswilligen Tierchen tanzen. Diesen Bildern hätte auch Bergemann ihren Segen gegeben: „Wenn ich zu einem Thema hundert Bilder mache, von denen das mit der größten Wahrheit unscharf ist, biete ich eben das Unscharfe an“, hat sie einmal gesagt.

Unscharf sind auch etliche Polaroids – oft die schönsten –, mit denen die Fotografin, diese so zurückhaltende wie unverwechselbare Ausnahmeerscheinung der deutschen Fotografie, dem Betrachter noch einmal persönlich entgegentritt. Die Momentaufnahmen aus allen Schaffensperioden sind zum Teil Begleiterscheinungen ihrer Modefotografie, zum Teil Notate von Reisen und Reportagen, oft auch private Augenblicke, in der legendären Wohnung von Sibylle Bergemann und Arno Fischer am Schiffbauerdamm, oder im stillen brandenburgischen Landhaus, im Garten, am Feldrand oder nur der Blick aus dem Fenster. Getragen von einem Grundton des Schwebend-Verträumten, sind es Einblicke in ein Märchenland, das vor der Haustür liegt oder im Nachbarsgarten, schon zur Entstehungszeit nicht ganz von dieser Welt, heute mehr denn je.

Es ist etwas unwiderstehlich Melancholisches um diese flüchtigen Bilder, das duftige Blau, das aus einer Fehlfarbentwicklung stammt und doch von der blauen Blume kündet, die blätternden Wände und bleichen Tapeten, und jene jahrmarktbunten Gestalten, die Sibylle Bergemanns Traumwelt bevölkern. Besonders schön sind ihre Kinderbilder, bei den Kostümfesten der Akademie entstanden oder zu Hause. Sie sind seltsame Zwitter, diese Kinder, durch die schon das künftige Erwachsensein scheint, wenn sie ernst mit Lippenstift, Hut und Schleier posieren, mit Blumenkranz geschmückt oder den Flügeln der Fantasie.

Das Spiel quer durch die Zeit, die Kinderseele im Erwachsenen, das Erwachsene im Kind: Sibylle Bergemann hat es auch in Meret Becker entdeckt oder in den Protagonisten des Theaters RambaZamba. Auf einem Polaroid sieht man ein Kind auf dem Feld, vor einem Tor, das ins Nichts führt. Passagen, Übergänge, und das Ineinanderfließen der Welten – das bleibt von Sibylle Bergemann. Federleicht.

C/O Berlin, Oranienburger Str. 35/36, bis 4. September, tägl. 11-20 Uhr

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