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Die Einweihung des "Eisernen Hindenburgs" vor der Berliner Siegessäule, 4. September 1915.

© Staatliche Museen Berlin / Ute Franz-Scarciglia

Ausstellung "Der gefühlte Krieg": Im Reich der Riesen

Von Vaterlandsliebe und Hass zu Angst und Trauer: Eine sehenswerte Ausstellung im Dahlemer Museum Europäischer Kulturen erzählt die Gefühlsgeschichte des Ersten Weltkriegs.

Als vor hundert Jahren der Erste Weltkrieg begann, glaubten viele Deutsche, in „großen Zeiten“ zu leben. Große Zeiten verlangen nach großen Männern. Der allergrößte war Paul von Hindenburg, dem in der Schlacht bei Tannenberg ein triumphaler Sieg über die russische Armee gelang. Am 4. September 1915 wurde vor der Siegessäule am Reichstag in Berlin ein „Eiserner Hindenburg“ eingeweiht, der 13 Meter hoch war und 27 Tonnen wog. Der Reichskanzler brachte – so ein zeitgenössischer Bericht – „in begeisterten Worten das Hoch aus auf unseren erhabenen Kaiser und allerhöchsten Kriegsherrn, welcher unsere Armeen von Sieg zu Sieg führt“. Für eine, fünf oder hundert Reichsmark konnten eiserne, silberne und goldene Nägel erworben werden, die dann in die Holzfigur geschlagen wurden. Die Spenden dienten der „Kriegswohlfahrt“.

Eine raumhohe, etwa sechs Meter große Nachbildung des Eisernen Hindenburgs ist das Prunkstück der Ausstellung „Der gefühlte Krieg“ im Museum Europäischer Kulturen in Dahlem. Der Feldmarschall blickt finster entschlossen und stützt sich auf seinen Säbel. Die Gefühle, die er verbreiten sollte, waren wahrscheinlich Zuversicht und Hoffnung (bei seinen Landsleuten) sowie Angst und Schrecken (bei den Feinden).

Nicht alle waren von der künstlerischen Qualität der Statue überzeugt. So schrieb der Berliner Bildhauer Louis Tuaillon an „Ew. Excellenz“, den Kaiser: „Die Errichtung dieses Hindenburg ist eine internationale Blamage.“ Die von der Kuratorin Jane Redlin gestaltete Ausstellung stellt der Hindenburg-Figur, die gewissermaßen ein Nagel-Fetisch war, das Werk „Wald“ von Günther Uecker gegenüber: acht Baumstümpfe, aus denen Nägel stachelig herausstehen.

Die Ausstellung versucht, eine Gefühlsgeschichte des Ersten Weltkriegs zu präsentieren. Emotionen wie Vaterlandsliebe, Opferbereitschaft und Hass gegen den Feind wurden auf beiden Seiten der Front geschürt und propagandistisch ausgebeutet. Aber der Krieg verlief nicht so, wie die Propaganda ihn zeichnete, zu seiner Wahrheit gehörten Angst, Schmerz und Trauer. Im Begleitbuch schreibt die Historikerin Ute Frevert, Leiterin des Forschungsbereichs „Geschichte der Gefühle“ am Berliner Max-Planck-Institut: „Viele Studenten stellten sich sich den Krieg als ein großes Duell vor, das nach klaren, Respekt wahrenden Regeln verlief. (...) Dass die Ehre höher stand als das eigene Leben, leuchtete gerade jenen ein, die an Gymnasien, Universitäten und während des Militärdienstes in eine Kultur der Ehre hineinsozialisiert worden waren.“ Doch mit einem ehrenvollen Duell hatte der industrialisierte Krieg nichts zu tun. Statt auf Mut kam es einzig auf die Vernichtungskraft der Maschinengewehre und Granaten an.

Patriotisches Spielzeug mit Pickelhaube.

© Staatliche Museen Berlin / Ute Franz-Scarciglia

Die Welt, in die die Ausstellung führt, wirkt auf heutige Betrachter widersprüchlich und irritierend, sie kommt uns fremd und gleichzeitig vertraut vor. In den Großstädten waren moderne Zeiten angebrochen, die Menschen formulierten – das zeigen die ausgestellten Briefe und Texte – ganz ähnlich wie wir. Aber woher kam diese patriotische Massenekstase bei Kriegsausbruch? Und warum ließ die Begeisterung später kaum nach, warum konnte der Krieg vier Jahre lang mit immer größeren Verlusten weitergehen?

In zeitgemäß mit stilisierten Schwertern und Eichenlaub dekorierten Vitrinen liegt Kitsch und Nippes, mit dem schon die Kinder auf den Krieg eingeschworen wurden. Ein „Feldherrn-Spiel“ neben dem Kinderbuch „Im Schlacht-Getümmel des Weltkriegs“, Bleisoldaten, mit denen sich ein Feldlazarett aufbauen ließ, ein Matrosenanzug, der an einem Bügel mit der Aufschrift „Dem braven Kind“ hängt. Es gab nicht viele Stimmen, die Einspruch gegen den kollektiven Kriegsrausch erhoben.

Die Pazifisten Georg Friedrich Nicolai, Albert Einstein und Wilhelm Foerster verfassten 1914 einen „Aufruf an die Europäer“, in dem sie den Krieg ein „Unglück“ und eine „Barbarei“ nannten. Weil außer ihnen selber zunächst nur eine Person ihren Text unterzeichnete, veröffentlichten die Autoren ihn erst 1917. Entstanden war er als Gegenschrift gegen das „Manifest der 93“, in dem von einem „Deutschland aufgezwungenen schweren Daseinskampf“ die Rede ist. Signiert hatten das triefend chauvinistische Manifest unter anderem Wilhelm von Bode, Gerhart Hauptmann, Max Liebermann und Max Reinhardt.

Es gibt ein Gefühl, das stärker ist als der Tod: die Liebe. Der Berliner Grenadier Georg Ehrenberg und seine Freundin Frieda Milewski schickten einander in zwei Jahren rund 650 Feldpostsendungen. Als Georg 1915 mit 19 Jahren eingezogen wurde, bestand ihre Beziehung erst vier Monate. Er starb 1917 an der Front. In einer beeindruckenden Installation ist der Briefwechsel nun zu sehen, in einem Karteikastenschrank, in dessen Schubladen Briefe, Postkarten und Fotos liegen, während ein Computerdisplay die Texte zeigt. „Habe mir alle von dir erhaltene Post vorgenommen, um sie mal durchzulesen. (...) Habe aus allen Zeilen viel, viel Liebe gelesen“, schreibt Frieda im September 1915. Kurz zuvor hatte Georg die Geliebte auf seinen möglichen Tod vorbereitet: „Sollte ich wider Erwarten nicht heimkehren, so denk und vergiss deinen Schorchl, und lass dein Leben dadurch nicht verwelken.“ Frieda heiratete einen anderen, bewahrte aber bis zu ihrem Tod Georgs Briefe auf.

Pickelhaube mit Einschussloch.

© Staatliche Museen Berlin / Ute Franz-Scarciglia

Der Krieg war eine Knochenmühle, in der eine halbe Generation zugrunde ging. Ein paar simple Inszenierungstricks reichen, um eine Stimmung der Beklemmung und Verdammnis herzustellen. Dort, wo es um den Alltag an der Front geht, sind Wände und Vitrinen mit feldgrauen Filzbahnen verkleidet. Da hängen und liegen Uniformen, Helme, Gasmasken, selbst gebastelte Totschläger, ein Postkarten-Arrangement führt von der Einberufung in den Tod: Ansichten aus der Heimat, von Hindenburg, Dörfern in der Etappe, am Ende dem Lazarett. Filme von 1917/18 zeigen die „Behandlung von Kriegsneurotikern“, Soldaten, die nach einer Traumatisierung am ganzen Leib zittern. Dazu schmettert ein Sänger aus dem Off das „Argonnerwaldlied“: „Ein Pionier stand auf der Wacht.“ Der Weg ins Freie führt vorbei an Fotos von Soldatenfriedhöfen und hilflosen Nachrufen: „Du starbst zu froh und wirst so schwer vermisst.“ Bedrückung ist das Gefühl, mit der man die sehr sehenswerte Ausstellung verlässt.

Museum Europäischer Kulturen, Lansstr. 8 (Dahlem), bis 28. Juni 2015, Di–Fr 10–17, Sa/So 11–18 Uhr. Begleitbuch (Verlag der Kunst) 14,95 €.

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