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Kultur: Im Schmerztiegel

Schlafzimmer-Pop: der Wahlberliner Konstantin Gropper und sein betörendes Debütalbum

Er hat große braune Augen, weiche Gesichtszüge und eine Frisur, die sein Antlitz wie eine Sichel durchschneidet. Seine Stimme ist für den knabenhaften Körper ein paar Lagen zu tief, der schwäbische Dialekt zur gutturalen Sanftmut entschärft. Wenn er so vor einem sitzt, erinnert nichts an den Schmerzensmann, als der Konstantin Gropper auf seinem Debütalbum in Erscheinung tritt. Zu beherrscht und wohlerzogen ist er für einen Untergeher. Zu lässig für das Waidwunde seines Kammerflimmer-Pop, das Kritiker bereits Wochen vor dem Erscheinen von „Rest Now, Weary Head! You Will Get Well Soon“ in Verzückung versetzt. Und doch liegt ein Zögern in seiner Nachdenklichkeit, das wie eine Wunde pulsiert. Die Pausen, die er zwischen den Worten macht, sind klaffende Lücken.

Es ist ja auch wirklich nicht die beste Zeit, seine Karriere als Popmusiker beginnen zu wollen. Die Branche befindet sich im Umbruch, längst sind nicht mehr nur die Großen betroffen: Gropper sitzt zwischen leer geräumten Regalen, überquellenden Altpapiercontainern und verwaisten Schreibtischen. Wieder ist mit V2 ein Indie-Label verschwunden, das bis vor kurzem noch in einer Kreuzberger Fabriketage logierte. Der Markt ist eng geworden für Newcomer-Projekte. Es gibt bis auf ein oder zwei Ausnahmen keine unabhängige Plattenfirma mehr, die dem Status eines mittelständischen Betriebs entspricht. Das Geld für Werbekampagnen und Vorschüsse fehlt. Auch das Berliner Label City Slang – immerhin eine Ausnahme – ließ Gropper über ein Jahr warten, bevor es ihn mit seinem Soloprojekt Get Well Soon unter Vertrag nahm. Ein Jahr mehr, das der 25-Jährige investieren musste in eine Arbeit, die ihn schon beinahe ein Fünftel seines Lebens beschäftigt. Schicht für Schicht hat Gropper die Musik am Laptop „gebaut“, wie er sagt, im eigenen Schlafzimmer. „Die Instrumente habe ich schon auch echt eingespielt, was ich nicht konnte, mussten Gastmusiker erledigen. Aber das Album hat nie ein Studio gesehen. Abgemischt wurde es zwar nicht in meinem Schlafzimmer, aber in einem anderen.“

„Rest Now, Weary Head! You Will Get Well Soon“ ist ein Album, das vor Größenwahn, Opulenz und barocker Theatralik strotzt. Die Songs tragen Titel wie „If This Hat Is Missing I’ve Gone Hunting“ oder „I Sold My Hands For Food Please Feed Me“. Man hört Glockenspiele, Streicher, Chöre, ein Akkordeon. Es sind elegische Wallfahrten zur Glückseligkeit, die immer wieder von rauchenden E-Gitarren und wimmernden Mariacchi-Trompeten zerstäubt wird. Nach landläufiger Meinung ist so etwas hier automatisch zum Scheitern verurteilt.

Aber es ist grandios. Und zwar nicht wegen der sinfonischen Dramaturgie, dem überladenen Instrumentarium, für dessen Umsetzung es auf der Bühne acht Musiker bedarf, und der himmelhochjauchzenden Melancholie. „Rest Now, Weary Head! ...“ ist der betörende Versuch, verschiedene Figuren von der Liebe singen zu lassen, ohne Liebeslieder zu schreiben. Es geht um das einander Zugewandtsein, um Herzenswärme und Vertraulichkeit. Also um etwas, das zu wertvoll ist, um es gegen etwas anderes einzutauschen.

Aber noch wichtiger ist: Mit den 14 Songs erfüllt sich ein Versprechen. Gropper hat es niemandem gegeben außer sich selbst. Der Einzelgänger steht für einen Typus des Bedroom-Pop, der mit Connor Oberst alias Bright Eyes, A. J. Holmes, Dan Snath alias Caribou und Sufjan Stevens schillernde Protagonisten hervorbringt. Deren ausgefeilte, vielstimmige Pop-Entwürfe bewegen sich jenseits des „Rock-Klangkörpers“ (Gropper) und nutzen für ihr Songwriting die Techniken des Computerzeitalters.

Die Vereinsamung des in seinem Ein- Mann-Studio abgekapselten Musikers hallt in der Musik wieder. Als zärtliche Intimität, als Hoffnung auf Erlösung. Er sei ein schlechter Teamplayer, erklärt er. Er könne es nicht ertragen, Unfertiges zu präsentieren. Seine Band, zu der seine Schwester und ein Cousin gehören, kriegt vollendete Arrangements vorgelegt. Meist habe der Song in seinem Kopf die Form bereits gefunden, wenn er ihn am Computer ausarbeite, erzählt er. Reklametafeln, Hinweisschilder oder anderes sprachliches Treibgut lösen Bilderstürme bei ihm aus. Wenn in „Christmas In Adventure Parks“ eine Schrammelgitarre den Anfang macht, entnervt und stümperhaft wieder abbricht, um dem eigentlichen Song als anschwellendes, wehendes Akkordgesums Platz zu machen, bekennt sich Gropper zur Pose des entrückten Geistersängers. Seine Musik zielt aufs Große, statt sich in hippiesker Kleinteiligkeit zu verlieren.

Der Sohn eines gymnasialen Musiklehrers aus dem oberschwäbischen Erolzheim hätte auch versagen können. Auf seiner Myspace-Seite findet sich dazu der Hinweis, dass über alle Landkinder von Lehrern immer gesagt werde, „sie hätten Talent, vor allem Musiktalent, aber in Wahrheit haben sie für gar nichts Talent ... wenn ein solches Kind in eine Flöte blasen und an einer Zither zupfen oder auf einem Klavier klimpern kann, so ist es kein Talentbeweis“. Das Zitat stammt von Thomas Bernhard. Vielleicht steckt mehr Wahrheit darin, als die Ironie des Zitierens verbergen kann.

Denn als Kind lernte Gropper zunächst Cello spielen – fürs Klavier habe es nicht gereicht, sagt er. Ein Philosophiestudium zog ihn nach Heidelberg. Doch bald schon wechselte er auf die baden-württembergische Popakademie, wo er schnell zum Vorzeigestudenten avancierte. Wann immer über die junge Mannheimer Talentschmiede berichtet wurde, Gropper war Kronzeuge. Widerwillig allerdings, denn auf die Vorzüge der Popstar-Uni angesprochen, in der Musikbusiness und Popmusikdesign auf dem Lehrplan stehen, lobte er immer nur, dass man die richtigen Leute treffe. Die Dozenten, zu denen Heinz Rudolf Kunze, Xavier Naidoo und die Produzenten von Yvonne Catterfeld und LaFee zählen, meinte er nicht. „Ich glaube nicht, dass mir solche Typen was beibringen können“, hat der Kubrick-Fan dem „Rolling Stone“-Magazin einmal gesagt, „die können eher was von mir lernen.“

Tatsächlich ist die Spannweite seiner musikalischen Kinderstube breit. Sie reicht von der klassischen Moderne eines Penderecki über die Soundtracks Ennio Morricones bis zu den Balladen Leonard Cohens. Sein Erstling sei nur „ein Türöffner, um in anderen Bereichen zu arbeiten“. Warum nicht als Filmkomponist?

„Rest Now, Weary Head! You Will Get Well Soon“ erscheint am 18. Januar bei City Slang. Get Well Soon spielen am 17. Januar im Postbahnhof.

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