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Kultur: Im Staub der Theaterpelze

Gorkis „Vassa Shelesnova“ am Berliner Ensemble, inszeniert von Manfred Karge.

Bei seinem unterhaltsamen Auftritt vor dem Kulturausschuss vor zwei Wochen stimmte Claus Peymann erwartungsgemäß ein Loblied auf sein Theater, das Berliner Ensemble, an. Eher überraschend war dagegen, dass er das Theater als eine bewegte Form des Museums feierte. Das BE, so Peymann, werde in der Kritik als museal verunglimpft, für ihn aber, so Peymann, sei museal etwas Positives. Er freue sich, so Peymann, wenn sein Theater als Theatermuseum bezeichnet werde!

Mit Sicherheit wird er sich auch über die neue Inszenierung am Haus freuen, die unter den musealen Inszenierungen der letzten Jahre eindeutig den Spitzenplatz einnimmt: Manfred Karge inszeniert Vassa Shelesnova von Maxim Gorki. Während dieser anderthalb Stunden hat man unablässig gegen den Niesreiz (von den verstaubten 19.-Jahrhundert-Kostümen aus dem Fundus), aber vor allem gegen die Müdigkeit zu kämpfen, denn die zehn Schauspieler deklamieren mit solch aufschäumender Hemmungslosigkeit und unterstreichen dabei jede Emotion mit der entsprechenden holzschnitthaften Bewegung, dass alle Dramatik der Vorlage unter dem Zellophan einer falsch verstandenen Konvention erstickt und Theatergefuchtel übrig bleibt.

Gorki schrieb das Stück Vassa Shelesnova gleich zweimal. Zuerst 1910, als Gorki an der Familie der erfolgreichen Geschäftsfrau Vassa Shelesnova den Niedergang der herrschenden Klasse des Zarenreichs vorführte. Vassa Shelesnova – „die Eiserne“ – kämpft um den Zusammenhalt ihrer Familie und wird darüber zum mordenden Monster. 1935 hat Gorki das Stück umgeschrieben und aus der privaten Geschichte eine gesellschaftliche gemacht. Die Brutalität im Namen des Familienunternehmens ist geblieben (Vassa zwingt ihren wegen Kinderschändung angeklagten Säufermann zum Selbstmord und scheut auch nicht davor zurück, ihre Tochter zu denunzieren, weil sie ihren Plänen in die Quere kommt). Zusätzlich hat Gorki aber eine positive Figur eingeführt: Rachel, die Schwiegertochter, die als Revolutionärin im Untergrund kämpft und, im Gegensatz zu der zum Untergang verurteilten herrschenden Klasse, den Weg in eine bessere Welt zeigt.

Karge wählt verständlicherweise die zweite Fassung, die Monologe der Rachel (Marina Senckel in männlicher Kämpfermontur mit Hosenträger und Krawatte) liefern die Abrechnungen mit einem enthemmten Kapitalismus ja frei Haus, und die degenerierten Rituale einer kaputten sogenannten besseren Familie liefern allerlei Gelegenheiten, um hinter dem Deckmantel der Kritik die Schmiere von der Leine zu lassen.

Bitter, eine große Schauspielerin wie Swetlana Schönfeld als roboterhafte Schreihals-Vassa zu sehen, die sich Keif-Duelle mit ihrem Kinder befingernden Ehemann (Dieter Montag) oder ihrem anders verkommenen Bruder Prochor liefert, gespielt von Roman Kaminski, über dessen Karikierung eines Säufers man lieber den pelzbesetzten Mantel des Schweigens breitet. Andreas Schäfer

Wieder am 5., 25. und 27. 4.

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