zum Hauptinhalt
Es ist Krieg! Alexander Khuon (Holofernes) und Katharina Schubert (Judith). Foto: J. Fieguth

© Joachim Fieguth

Kultur: Im Urgrund

Eine wahre Tragödie: Andreas Kriegenburg inszeniert „Judith“ in den DT-Kammerspielen

Der Abend beginnt mit einer anspruchsvollen Diashow: Links referiert Tom Buhrow die Tagesthemen von der Leinwand, rechts spricht Julian Assange in ein Mikrofon, dazwischen knien Guantanamo-Häftlinge. Flankiert von einer Gruppe verschleierter Frauen, reckt eine Patriotin ihre schwarzrotgold bemalten Brüste in die Kamera, und die Soldaten ringsherum sind sowieso im medialen Dauereinsatz.

Andreas Kriegenburgs Hebbel-Inszenierung „Judith“ suggeriert also Gegenwart – und lässt mit ihrem Breaking-News-Potpourri des letzten Jahrfünfts keinen Zweifel daran, dass es ihr weniger um die Tiefe als um die Breite der Bilder geht.

Nach dem Motto „Krieg, Terror und Machtkampf sind immer und überall“ marschieren die Schauspieler in Jeans und T-Shirts vor der Diawand auf. Wie ein Renovierungstrupp tragen sie Malerrollen und Farbeimer bei sich, um die Nachrichtenbilder tragödienschwarz zu überpinseln. Die symbolischen Umrisse von Menschen, die sie dabei aussparen, wird eine Kollegin später mit roten Kunstblutflecken versehen.

Dann fällt die schwarz übertünchte Gegenwartswand nach hinten um. Sie dient jetzt als unheilschwangere Bodenfläche, die die Fußsohlen der barfüßigen Darsteller schwärzt und den Startschuss gibt für eine gewaltige Tragödienhuberei. Bühnenrückwand um Bühnenrückwand knickt im Laufe des dreistündigen Abends um. Und umso mehr die weiße Box, die Juliane Grebin in die Kammerspiele des Deutschen Theaters gebaut hat, dabei an Tiefe gewinnt, desto näher glaubt sich offenbar auch Kriegenburg an den tragödischen Urgrund heranzuarbeiten. Immer mehr Schauspieler tauschen das T-Shirt gegen ein Leibchen, auf dem gleichsam mit dreifachem Ausrufezeichen „Archaik“ geschrieben steht. Katharina-Marie Schubert hatte ihrem Kollegen Alexander Khuon bereits als Jeans-Judith den Soldatenmantel des Holofernes übergeworfen und wälzt sich nun halbnackt auf dem Boden, bis ihr Kollege Bernd Moss, der ins Trägerkleid der Dienerin Mirza geschlüpft ist, mit Waschlappen und weißer Körperfarbe zu Hilfe eilt. Ist die junge hebräische Witwe von Kopf bis Fuß geweißt, steht ihrem heroischen Entschluss, das eigene Volk zu retten, nichts mehr im Wege.

Kurzum: Statt sich dem Tragödienkern zu nähern, erschlägt Kriegenburg Hebbels, dem biblischen Stoff entlehnten, Fünfakter mit dem Holzhammer. „Judith“ wird zu einem Abend der Leidensgymnastik, der Behauptungschoreografie und der leeren Pathosformeln – gern mit Moll-Musik unterlegt. Nach Lust und Laune sticht Holofernes seine Männer ab und hängt sich deren Blutmäntel um. Wer übrig geblieben ist, torkelt mit einer Schnapsflasche umher und vergewaltigt zitternde Frauen in weißen Kleidern. Fertig ist der schlimme Kriegsalltag.

Die Schauspieler – allen voran Schubert und Khuon in den Hauptrollen – mühen sich gewaltig, in diesem Bilderproduktionstheater den Text in den Griff zu bekommen. Dass ihre intelligent angedachten Versuche zwischen Alltagssound und hohem Tragödienton im Vagen stecken bleiben, verwundert allerdings kaum. Textarbeit ist Kriegenburgs Sache nicht. Am bittersten rächt sich das im dritten Akt, als die hungernden Bewohner Bethuliens ihre Not schlotternd ausstellen und dabei wie die Parodie auf eine Theater-Avantgarde wirken, die es so nicht einmal in den 1980er Jahren gegeben hat.

Dieser Abend ist ein Offenbarungseid, was nicht allein dem Kriegenburgschen Bilderreigen geschuldet ist. Immer wieder beklagen Theaterstücke das Verschwinden der Welt in den (massenmedialen) Bildern, diesem allgemeinen Hintergrundflimmern und -rauschen der Buhrows und Fußball-WMs, das die Gegenwart zum beliebigen Gleichzeitigkeitsbrei zerdehnt.Doch in der falschen Annahme, Subversion und Tiefenanalyse gepachtet zu haben, klopft man sich selbstbewusst auf die Schulter und weigert sich, festzustellen, dass man selbst mit Relevanzkeulen im seichten Beliebigkeitssüpchen rührt. Die Anstrengung, einen Stoff zu durchdringen und auf Berührungspunkte zur Gegenwart abzuklopfen, ist rar geworden. Es lebt die Kriegs- und Krisen-Deko.

Wieder am: 21. und 29. 3., 20 Uhr.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false