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Kultur: Im Wasser liegt die Wahrheit

Anja Silja kehrt mit Janáceks „Jenufa“ an die Deutsche Oper Berlin zurück

Triumph einer Rückkehr. Vierzig Jahre ist es her, dass das „Wunderkind“ Anja Silja als Elsa und Salome unter der Obhut Wieland Wagners an der Deutschen Oper Berlin debütiert hat. Nun kommt sie zurück, mit einer Rolle der Reife, und das Wunder, das sich dem Kind-Image so rasch verbindet, stellt sich staunenswert wieder ein. Die hohe schmale Gestalt bringt auf die Bühne ihrer Geburtsstadt das Flair eines langen Künstlerlebens, das sie nach eigenem Empfinden immer mehr an das der Emilia Marty in der „Sache Makropulos“ erinnert. Die Rolle der 337 Jahre alten Diva, mit der sie sich seit längerem identifiziert, weicht in diesem Fall einer ganz anderen Janácek–Partie: Es geht um ein mörderisches Thema aus dem mährischen Bauernleben. Eine alte Geschichte, die immer neu bleibt.

„Arm Hurenkind“, wie Wozzecks Marie in der Büchner-Oper von Alban Berg ihren Knaben nennt, hat in dieser Welt wenig Gutes zu erwarten. Schwangerschaft und Geburt ohne den Segen der Kirche gehören in der bürgerlichen Literatur zu den schlimmsten Aspekten der Angst, die Frauen erdulden. „Wie anders, Gretchen, war dirs, als du noch voll Unschuld . . .“ flüstert es aus Goethes Tragödie. Die Ängste kriechen in ihr hoch, während der Bruder Valentin nichts als die Entehrung der Schwester sieht, die er Hure nennt, als Soldat und brav. Hebbels Klara geht in den Tod, obwohl sie weiß, dass Sünde mit Sünde nicht zu büßen sei. Die seelische Not des Mädchens aber, das dem Vater die Schande ersparen will, spiegelt sich in rührendem Kontrast: „Sieh, der Sonnenschein liegt so goldig auf der Straße.“

„Nimm mich!“ oder „Wenn du mich nicht nimmst!“ – das Flehen der Mädchen Klara und Jenufa zu den leichtfertigen Liebhabern klingt beinahe identisch. Zwischen „Maria Magdalene“, der Tragödie von Hebbel, und „Jenufa, ihre Ziehtochter“, dem mährischen Drama von Gabriela Preissová, liegt fast ein halbes 19. Jahrhundert. Aber das Stück, dem sich Janáceks Oper verdankt, ist ein Pamphlet gegen die Verhältnisse, gegen religiöse und gesellschaftliche Vorurteile, für die Rechte der Frau.

Jenufa erwartet ein Kind von Steva. Der hat eine andere erwählt. Sein Stiefbruder Laca ist die wandelnde streitsüchtige Eifersucht aus Liebe. Bis Jenufa das erkennt und im Herzen die gleiche Liebe fühlt, geht eine Schauergeschichte über die Bühne. Ihre Ziehmutter, die Küsterin, versteckt das Mädchen bis zur Niederkunft, um die gemeinsame Ehre zu retten. Als sie Steva nicht zur Heirat bewegen kann und eine Chance mit Laca sieht, beseitigt sie das Neugeborene. Vom Eise befreit, gibt der Fluss just am Hochzeitstag Jenufas und Lacas den Leichnam des Säuglings frei. Die Küsterin nimmt alle Schuld auf sich.

Eine königliche Gestalt nennt der Janácek-Übersetzer Max Brod in seiner Autobiografie diese Figur, eine Richterin, zu der das ganze Dorf respektvoll aufblickt. Man küsst ihr die Hand. Während das Mädchen sein Kind zu lieben begonnen hat, geht die Angst vor der Schande auf die Mutter über. Es hat eine paradoxe Größe, wenn diese stolze Frau sich knieend vor dem läppischen Steva erniedrigt, damit er der Tochter die Ehre wiedergebe. Und doch finden sich Liebesbeziehungen in dem Stück, die alles dominieren: zwischen Jenufa und ihrer Erzieherin, zwischen Jenufa und Laca.

Der Regisseur Nikolaus Lehnhoff lässt das junge Paar eilig abgehen. Die Szene ist ärmer geworden, seit die verzweifelte Mörderin das Zimmer verlassen hat. Das erinnert an das Los der Zurückbleibenden im „Don Giovanni“, hat aber auch mit der überlegenen Prägekraft Anja Siljas zu tun. Dabei bleiben der Trompetenglanz und die Klarheit ihres Soprans in allen Lagen ungebrochen. Ihr „Steine erweichendes“ Bitten ist voll musikalischer Schönheit.

In Lehnhoff, der Assistent Wieland Wagners war, hat sie einen Regisseur, auf den sie bauen kann. Die gemeinsame „Jenufa“-Produktion kommt von der Glyndebourne Festival Opera und steht für die Kontinuität ihrer Zusammenarbeit. Der Bühnenbildner Tobias Hoheisel gehört zum Team und zeigt hier, dass er sich auch in der Beschränkung entfalten kann. Die Mühle am Bach vor einem grünen Hügel ist nahezu realistisch, am Boden Mehlsäcke und Bretter. Die Stube der Küsterin mit dem soliden Wäscheschrank strahlt Sparsamkeit und Ordnung aus. Die Landleute (Choreinstudierung: Hellwart Matthiesen) sind einfach gekleidet, nur die Dorfschönen (Karolka und ihre Mutter: Sahra Fox und Eiddwen Harrhy) mondän herausgeputzt. Es ist eine mit leichter Hand entworfene Inszenierung, die keinem weh tut, aber doch feine Details bringt: Jenufa nach allem Leid als glücklich lächelnde Braut Lacas.

Stefan Margita ist, wie es sich gehört, der tenorale Star, strahlend neben dem rollenbedingt blasseren Pär Lindskog als Steva, während Amanda Roocroft in der Titelrolle schon zum Strapazieren ihres berühmten Mozart-Soprans neigt. Wie aus der Sprachmelodie und ihrem Stimmungscharakter Klang wird, Verfremdung abseits europäischer Tradition, hat der Dirigent Jiri Kout den Janácek-Hörer schon vielfach gelehrt. Max Brod vergleicht die Melodien mit der Menschenstimme. Mit dem Orchester der Deutschen Oper, das in dieser Partitur oft wie ein Zusammentreffen singender und rufender Vokalstimmen wirkt, mit der „kleinen Konzession“ (Janácek) des Ensembles im ersten Akt, vermittelt Kout die geniale Hauptsache der Musik: ihre Unruhe, die der Dramaturgie um die Tat der Küsterin gehorcht.

Weitere Vorstellungen am 26. und 30. November sowie am 7. Dezember.

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