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Kultur: Imaginationsfalle

ALL THAT JAZZ Christian Broecking zieht eine Zwischenbilanz beim JazzFest Das JazzFest-Motto, Hauptsache: „imaginär“, ist offenbar nicht jedem verständlich. Wo Peter Schulze, der neue künstlerische Leiter, kulturelle Aneignung hineinvermutet, steht das Publikum auf und geht.

ALL THAT JAZZ

Christian Broecking zieht

eine Zwischenbilanz beim JazzFest

Das JazzFest-Motto, Hauptsache: „imaginär“, ist offenbar nicht jedem verständlich. Wo Peter Schulze, der neue künstlerische Leiter, kulturelle Aneignung hineinvermutet, steht das Publikum auf und geht. So geschehen beim Eröffnungsabend mit der japanischen Varieté-Animateurin Miharu Koshi, die es binnen Minuten schaffte, dem JazzFest 2003 das musikalische Zerrbild von einem Themenschwerpunkt zu geben. Die Japanerin mit Cowboyhut und Mieder bewaffnet sang französische Chansons und ließ drei Viertel der Musik vom Band einspielen. Auf einmal wusste niemand mehr, warum man die Dame überhaupt eingeladen hatte.

Zum Glück gibt es den als Ko-Kurator in Sachen Japan bestellten Werbejingle-Komponisten und Trash-Rock-Musiker Jun Miyake. Er erschien zum Interview in Begleitung von Tochter und Lebensgefährtin gut gelaunt und hilfsbereit. Nachdem er klargestellt hat, dass ihn Jazz überhaupt nicht interessiert, folgen kulturpessimistische Ausführungen über das heutige Japan, ja, ein fast überschwänglicher Japan-Hass. Von Lolita- Kultur ist binnen kürzester Zeit so oft die Rede, dass einem ganz schmuddelig wird. Dass Frau Koshi eingeladen wurde, konnte er sich nur als fatale Überinterpretation des Umstands erklären, dass sie französische Liedchen singe. In Japan ist das eine Sensation. Und hat offenbar zu der von Schulze favorisierten These von der migrationsbedingten Aneignung fremder Kulturen superoriginell gepasst.

Auch der Pianist Masabumi Kikuchi las sich im Programmheft ganz interessant. Auf der Bühne jedoch entpuppte sich seine gleich nach 30 Sekunden ins Stocken geratene Improvisation nur als weiterer hochsubventionierter Irrglaube. Auch Kikuchi, seit über 30 Jahren in New York lebend, lässt kein gutes Wort an seiner Heimat, und vom Jazz habe er sich verabschiedet, nachdem er vor 15 Jahren ein Konzert mit Cecil Taylor gehört habe. Der wiederum spielte am späten Freitagabend, allerdings beim Total Music Meeting, eines seiner schönsten Konzerte seit langem. Jazz, ganz da. Zum Taylor-Kreis gehörte einst auch der polnische Jazz-Trompeter Tomasz Stanko , der das JazzFest im Haus der Festspiele heute mit seltsam schönen Balladen beschließt (19 Uhr 30).

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