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Kultur: Immer auf dem fliegenden Teppich bleiben

René Pollesch versucht sich im Berliner Prater an einer Mediensatire zum Irak-Krieg: „Der Leopard von Singapur“

Eigentlich hätte René Polleschs neue Inszenierung zur Saison-Eröffnung des Volksbühnen-Praters „Der Tiger von Eschnapur“ heißen sollen. Weil es mal einen prächtig kitschigen Kinofilm gleichen Titels von Fritz Lang gab, gedreht 1958. Weil das so schön trashy klingt. Und weil der Film-Plot, europäischer Architekt verführt die Geliebte eines indischen Herrschers, ja irgendwie ganz gut zu Polleschs Lieblingsthemen Sex, Machttechnologie und Liebe passt. Aber dann hat Atze Brauner, der Produzent des Films, der Volksbühne den Titel doch verweigert und jetzt heißt die neue Prater-Party „Der Leopard von Singapur“.

Das ist schade, denn Polleschs Inszenierung und Fritz Langs Film haben mehr miteinander gemein, als beiden recht sein kann. Zum Beispiel, dass in beiden Fällen große Könner, die ihre Kunst vor langer Zeit einmal revolutionierten, ziemlich grauenvolle Routineprodukte auf den Markt werfen. Und klingt, was ein Lang-Fan wie der Filmwissenschaftler Enno Patalas über den Film schreibt, nicht wie die präzise und sehr charmante Charakterisierung von Polleschs Regiekünsten? Den „Spaß am primitiven Kino, die Belustigung über schauspielerisches Untalent und die Heiterkeit, die aus dem Unausgeführten, Skizzenhaften der Inszenierung rührt“, den Patalas am „Tiger von Eschnapour“ rühmt, kann auch der Pollesch-Kunde goutieren. Wenn er ihn goutieren kann. Denn die Themen, an denen sich die Inszenierung entlanghangelt, erschweren den Spaß am fröhlich schlecht Gemachten dann doch etwas. Flüchtlingslager, Folter, der 11. September und die neuen Kriege sind eben doch nicht pop-kompatibel. Auch wenn Polleschs Inszenierung genau das unverdrossen und recht penetrant behauptet.

Für die neue Spielzeit im Prater ist der Bühnenbild-Künstler Bert Neumann in seiner Versuchsreihe, Räume zu entwerfen, die mit üblichen Theaterräumen nichts mehr zu tun haben, wieder zu einer erstaunlichen Lösung gelangt: Der Prater hat sich in ein orientalisches Zelt verwandelt. Mit Kies auf dem Boden, den unvermeidlichen Fernsehmonitoren in den Ecken und vielen Tüchern und Vorhängen aus dem Orientshop als Außen- und Zwischenwände. Man sitzt auf Kissen, auf dem Boden, plaudert mit der Nachbarin, schaut anderen beim erholsamen Theaterschlaf zu und irgendwo läuft das Pollesch- Theater ab, was man aber zuerst nur als Fernsehübertragung zu sehen bekommt. Zwischendurch scheppern mal Jonathan Richmann oder die Beatles aus den Boxen, während Polleschs Schauspieler darüber rätseln, ob Ridley Scotts Film „Black Hawk Down“ die Philosophie des neuen Krieges entwerfe.

Naja. Irgendwann gehen die Vorhänge auf, der Abend wechselt vom WG-Fernsehabend zum Theater oder zu dem, was Pollesch vom Theater übrig lässt. Die Darsteller, drei Damen (Inga Busch, Christine Groß, Petra Hartung), zwei Herren (Marc Hosemann, Gordon Murphy Kirchmeyer) tragen orientalische Karnevalskostüme und machen, was Pollesch-Darsteller halt so machen – pausenlos Text abfeuern, ab und zu „Scheiße“ schreien, gelegentlich die Sitz- und Stehposition wechseln und ansonsten aufpassen, dass es nicht zu professionell wirkt.

Wie immer bei Pollesch geht es um vieles auf einmal. Diesmal grüßen als Trend-Theoretiker die Herren Agamben und Zizek aus dem Off, gerne ist von Biopolitik die Rede und davon, dass mit dem „Einschreiben des biologischen Lebens in die Ordnung“ nicht zu spaßen ist. Wie immer werden Intimität und Weltmarkt, Fernsehbilder, Neuigkeiten vom Boulevard des Grauens (diesmal der Mord an Marie Trintignant) und Pop- Scherze kurzgeschlossen. Nur dass Pollesch in diesem Stück das routiniert abgeschossene Feuerwerk der Referenzen und Querverweise arg ins Diffuse verrutscht.

Wenn jemand beklagt, dass er diesen „Science Fiction Film, in dem wir leben“ nicht mehr erträgt, ist das zwar auch nur abgestandener Medienkritik-Slang, aber nicht weiter schlimm. Unangenehmer wird es, wenn die jeden klaren Gedanken vernebelnde Baudrillard-Lektüre zur vollen Entfaltung kommt und Pollesch vor lauter Bildern die Welt nicht mehr sieht. Und nicht mehr sehen will. Dann lässt er seine Leute absonderliche Dinge sagen wie: „Das Rote Kreuz hält Menschen im Zustand zwischen Leben und Nichtleben, um rassistische Bilder zu produzieren.“ Mit der Geste der Kritik sagt das im Szene-Speak nichts anderes, als dass diese ewigen Elendsbilder im Fernsehen coole Pollesch-Slacker nur noch nerven. Die eigene Kälte gegenüber dem realen Elend wird auf diese Weise als höheres Wissen kultiviert. Polleschs Figuren, narzisstisch nur am eigenen Gefühl interessiert, wird alles, und sei es ein Flüchtlingslager, zum Spiegel der eigenen, sorgsam gehegten Kuschelbefindlichkeit. Was dann im Zuge einer Identitäts- und Beziehungskrise eine der Pollesch-Sprechpuppen so formuliert: „Eigentlich bin ich ganz froh, dass Amnesty International da ist, und uns sagt, dass es sich bei uns beiden um Menschen handelt.“ Ein bemerkenswerter Satz. Eine Organisation, die gegen die Folter kämpft, hat aus der Sicht der im eigenen Theoriewirrwarr verstrickten Szene-Egozentriker vor allem die Funktion, ihnen bei der Suche nach der verlorenen Ich-Stärke behilflich zu sein.

Die in einschlägigen Theorie-Seminaren und sämtlichen Pollesch-Inszenierungen gerne beschworene „Kritik bürgerlicher Subjektpositionen“ kann seltsame Blüten treiben. Dass die Inszenierung auch in technischer Hinsicht bemerkenswert verschlampt wirkt, ist angesichts solcher moralischen Bankrotterklärungen beinahe egal.

Wieder: 18., 22., 23., 31.10., um 20 Uhr.

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