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Kultur: Immer auf die kleinen Ganoven „Polly Blue Eyes“, ein Film von Tomy Wigand

Ein Mädchen sitzt mit seinem Vater in einer heruntergekommenen Wohnwagensiedlung – ihr Zuhause. Mit großen Augen erzählt sie von Klassenkameraden, die in Häusern mit eigenen Kinderzimmern wohnen.

Ein Mädchen sitzt mit seinem Vater in einer heruntergekommenen Wohnwagensiedlung – ihr Zuhause. Mit großen Augen erzählt sie von Klassenkameraden, die in Häusern mit eigenen Kinderzimmern wohnen. Der alternative Vater tut das alles als Spießertum ab. Daraufhin die Tochter: „Papa, wenn ich groß bin, will ich auch mal Spießer werden.“

Keine Ahnung, ob Polly (Susanne Bormann) diese Bauspar-Werbung im Knast zu oft gesehen hat. Als sie entlassen wird, will sie jedenfalls Spießerin werden, ihre Lebensträume verraten es: Angestelltendasein bei einer Fast-Food-Kette; Eigenheim im Grünen; Mann und Familie. Und wenn man sich Pollys Familie ansieht, kann man dafür durchaus Verständnis aufbringen. Der Vater (Ulrich Noethen) ist ein erbärmlicher Kleinganove, die Mutter (Meret Becker) eine herumlungernde Heulsuse. Und die Schwester (Maxi Warwel) erfüllt alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bewerbung als Boxenluder. Deren neuem Freund Ronny (Matthias Schweighöfer) sitzen osteuropäische Gläubiger im Nacken, weshalb er die ganze Familie zu halbseidenen Projekten überreden will.

Regisseur Tomy Wigand hat sich für diese schräge Mischpoke ein ansehnliches Ensemble zusammengestellt, aus dem die impulsive Susanne Bormann heraussticht, wie auch Matthias Schweighöfer als charismatischer Schlawiner. Zudem schwelgt Wigand in Cinemascope-Bildern, was in deutschen Filmen selten ist. Zeitlupen, beschleunigte Bilder, Weitwinkel-Einstellungen, schnelle Zooms und Jump Cuts – schnell kann der Eindruck entstehen, „Polly Blue Eyes“ sei eine schnittige Promenadenmischung aus „Lola rennt“ und „Snatch“. Doch dafür reicht der Atem nicht. Wigand unterbricht den Handlungsfluss gerne mit videoclipartigen Musikpassagen und tut sich dann schwer, den Film wieder in Gang zu bringen. Und es hat „Polly Blue Eyes“ wohl auch nicht gut getan, dass am Drehbuch ganze vier Autoren beteiligt waren. Letztlich wird zu viel gezeigt und zu wenig erzählt.

In Berlin in den Kinos Alhambra, Cinemaxx Potsdamer Platz, Cinestar Hellersdorf, Karli, Friedrichshain und Zoo-Palast

Julian Hanich

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