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Kultur: Immer im Galopp, und ob!

Es ist wieder Leben im Kulturpalast von Bitterfeld.Der seriöse Männerchor, die quirlige Kindergruppe, das Streicherensemble junger Mädchen, eine Rockband und Schalmeienbläser, Laien samt und sonders, bringen gemeinsam mit professionellen Theaterleuten aus Ost und West die Operette für Schauspieler "Orpheus in der Unterwelt" von Peter Hacks zur Uraufführung.

Es ist wieder Leben im Kulturpalast von Bitterfeld.Der seriöse Männerchor, die quirlige Kindergruppe, das Streicherensemble junger Mädchen, eine Rockband und Schalmeienbläser, Laien samt und sonders, bringen gemeinsam mit professionellen Theaterleuten aus Ost und West die Operette für Schauspieler "Orpheus in der Unterwelt" von Peter Hacks zur Uraufführung.Sind sie wieder auf dem "Bitterfelder Weg"? In diesem mächtigen Kulturpalast fanden 1958 und 1963 Konferenzen statt, auf denen die Kulturpolitik der DDR für viele Jahre ihre ideologische Ausrichtung erhielt."Greif zur Feder, Kumpel" hieß die Losung - die Trennung von Künstlern und Volk sollte überwunden werden.Jeder Arbeitende war aufgefordert, selbst künstlerisch tätig zu sein.Und die Künstler hatten die Aufgabe, Verständliches, Ermutigendes zu schaffen.

Es war im Ansatz, sieht man von der einengenden politischen Zielstellung ab, ein kühner Versuch.Arbeiter des Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld bauten sich in den fünfziger Jahren ihr Kulturhaus selbst.Einige sind dort heute noch tätig, halten das technisch gut ausgerüstete Gebäude in Schuß, trotzen seiner ungewissen Zukunft.Die DDR gibt es nicht mehr, und das Elektrochemische Kombinat hat moderner, schlanker Produktion Platz gemacht.Aber Tausende von Arbeitsplätzen fehlen, die Einwohnerzahl des nun "sauberen" Bitterfeld schrumpft.Was soll da ein Kulturpalast?

Da kommt Peter Hacks, "verschenkt" die Rechte der Uraufführung an seiner Operette "nach Calzabigi, Crémieux und Halévy" - Musik Jacques Offenbach - an diesen geschichtsträchtigen Ort.In der Operette und auf dem Weltparkette geht es immer im Galopp, sagt der Spötter, der sich gern hinter der Geschliffenheit seiner naiv kostümierten Verse versteckt.Aus dem unsterblichen Liebespaar Orpheus und Eurydike macht er eine eheliche Zweckgemeinschaft.Eine eheliche nur? Natürlich hat Hacks die deutsche Wiedervereinigung im Sinn, die Wendezeit, den Umbruch gesellschaftlicher Verhältnisse, und die Möglichkeiten von Kunst in so unruhigen Zeiten.Wenn Orpheus seine Eurydike, erfolgreich übrigens, aus dem Orkus holt, wird nicht nur der Gattenliebe Genüge getan, sondern die "gute Sache" erringt einen Sieg.Was immer diese gute Sache sein mag.Fest steht nämlich, daß sich Orpheus und Eurydike vor der Höllenfahrt überhaupt nicht vertragen haben.Wie zwei deutsche Staatsgebilde eben auch.Der Dame war das Gefiedel des "besten Geigers aller Zeiten" immer zuwider, und sie hatte, von Kunst übersättigt, starke Bedürfnisse nach fleischlich Sinnlicherem.Allein weil sich herausstellt, daß der schöne Schäfer Aristeus auch als Höllenfürst Pluto diese Bedürfnisse nicht zu befriedigen vermag und gar von einer revolutionären Erhebung bedroht wird, ist für Eurydike der Geiger doch das kleinere Übel.Der kann nicht nur Geige spielen, und so kommt wieder zusammen, was zusammengehört, es siegt "Gattenliebe über Schattentriebe" - und "alles geht jetzt glücklich, glücklich, glücklich, hopp und hopp".

Das ist der bare, freilich artig zurückgehaltene Hohn.Peter Hacks macht natürlich nicht den Fehler, plump hinzudichten, was der Zeit gemäß sein könnte.Das Vergnügen an Entschlüsselung setzt bei ihm immer fleißige Denk-Arbeit voraus.Zumal, wenn er mit seiner Operette zur "unverfrorenen Eröffnung einer weiteren Etappe auf dem Bitterfelder Weg" beitragen will, wie es im Werbematerial heißt.Und in der Tat - das ganze wuchtige Gebäude wird erneut und nachdrücklich in Besitz genommen.Die Operette auf dem Weltparkette gibt sich geschichtsphilosophisch, die Leichtigkeit der Hacks-Verse setzt Prospekte und Maschinen in Gang, spielende und singende Theaterleute aus Dresden, Berlin, Düsseldorf, Erfurt, Hamburg, Dessau, Sandersdorf gehen in der Gemeinschaft der Mitwirkenden auf.Folgerichtig sind in der Inszenierung von Stefan Nolte und Jens Mehrle (musikalische Leitung Sebastian Vogel und Thomas Küstner) Darsteller und Publikum nicht getrennt.Es wird mitten im Parkett gespielt, nach dem ersten Akt ziehen die Zuschauer auf die Bühne um, nehmen auf einer steil ansteigenden Tribüne Platz, die sich dann zu den Handlungsorten auf Seiten- und Hinterbühne dreht.Zum Schluß, beim Höllenausstieg aus dem Orchestergraben, wird der Blick in den Zuschauerraum wieder freigegeben.

Der Chor, der in der plutonischen Unterwelt sitzt, erinnert an das alles bestimmende SED-Politbüro - und singt: "Drum lasset alle Hoffnung fahren." Hoffnung aber ist, wenn musiziert wird, wenn die Verdammten unten bezwungen und die Bestien oben gezähmt werden.Durch die Wunder der Kunst, eben auch und erneut auf dem Bitterfelder Weg.In der Operette geht das, "immer im Galopp, und ob, und ob".Und ob die Aufführung die von Hacks vorgeschriebene galoppierende Sanftheit auch einzuhalten vermag, kann nach diesen in den letzten Proben vor der Uraufführung am gestrigen Abend gewonnenen Eindrücken noch nicht gültig beurteilt werden.Der Andrang jedenfalls war groß - heute abend ist die zweite und vorläufig letzte Aufführung.

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