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Kultur: Immer nur wegsehen

Der Ruanda-Film „Shooting Dogs“ schildert die unrühmliche Rolle der UN-Truppen

Hundert Tage dauerte das Blutbad. Danach lagen 800 000 Menschen erschlagen im Staub Ruandas, mit Macheten niedergemetzelt. Die Welt blickte fassungslos auf das kleine zentralafrikanische Land, in dem der größte Genozid seit dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden hatte. Dennoch war das von extremistischen Hutu-Milizen angezettelte und wie ein massenpsychotischer Exzess auf die Bevölkerung übergreifende Morden nicht unbeobachtet geschehen. UN-Truppen waren in Ruanda stationiert. Ihre nicht eben rühmliche Rolle in diesem Konflikt zweier Volksgruppen schildert nun „Shooting Dogs“, ein erstaunlich unprätentiöser, realitätsnaher Spielfilm von Michael Caton-Jones.

Wie in „Idi Amin“ wird die afrikanische Tragödie aus der Perspektive eines weißen Afrika-Idealisten erzählt. Joe Connor (Hugh Dancy) ist Lehrer an einer Schule in Kigali, die von einem desillusionierten, aber warmherzigen katholischen Priester (John Hurt) geleitet wird. Joe ist ein aufgeweckter junger Mann, den die romantischen Avancen einer Schülerin irritieren. Für so was ist er nicht nach Kigali gekommen. Als er in eine Straßenkontrolle gerät und sieht, wie Soldaten auf wehrlose Zivilisten eintreten, versteht er nichts. „Das sind bloß Tutsi“, sagt sein einheimischer Begleiter. Tief ist der Stammeshass in dieser Gesellschaft verwurzelt, zu tief für europäische Augen, die nur Willkür sehen.

Bei Ausbruch der Unruhen suchen 2500 Tutsi Schutz auf dem Schulgelände, das auch eine Einheit belgischer Blauhelmsoldaten beherbergt. Von Anfang an ist der sympathische Captaine Charles Delon (Dominique Horwitz) ein Gefangener seines begrenzten Befehlsradius. Für die bedrohten Flüchtlinge kann er nichts tun – der Abzug der Belgier ist niederschmetternd. An Delon wird die absurde Konstruktion von UN-Missionen deutlich, die Frieden nicht schaffen, sondern nur überwachen sollen – ähnlich zeigte bereits 2005 die Filmtragödie „Hotel Ruanda“ den Abzug der UN-Truppen. So werden allenfalls die Hunde erschossen, die sich an den Leichen zu schaffen machen. Die marodierenden Banden, die sich vor den Lagertoren mit Schlachtgesängen und Bananenschnaps in Stimmung bringen, bleiben dagegen unbehelligt.

„Shooting Dogs“ lebt von der fiebrigen Anspannung, die dem Zusammenbruch der Zivilisation vorausgeht. Glücklicherweise erspart Regisseur Caton-Jones („Rob Roy“, „Basic Instinct II“) dem Zuschauer den Anblick der Massaker. Jedenfalls meistens. Viel stärker ist ohnehin der dumpfe, versteckte Hass in den Blicken der Hutu und in den versteinerten Gesten, die die Tutsi in deren Gegenwart zeigen: In dem 114-minütigen Film spielen Täter wie Opfer sich zum Teil selbst.

Auch wenn der an Originalschauplätzen gedrehte Film der Weltgemeinschaft vorwirft, weggesehen und sich mit dem vermeintlichen Fatalismus Afrikas arrangiert zu haben, ist kein moralisches Gesinnungstheater daraus geworden. Stattdessen: ein großer, stiller Film über ein großes Drama, das nicht hätte still bleiben sollen.

Ab Donnerstag in den Berliner Kinos Broadway, Friedrichshain, Rollberg, Colosseum und Zoo-Palast

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