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Kultur: Immer wieder sonntags: Der Technik vertrauen

Kennen Sie den sichersten Weg, eine Sekretärin zur Weißglut zu bringen? Hier will ich ihn verraten.

Kennen Sie den sichersten Weg, eine Sekretärin zur Weißglut zu bringen? Hier will ich ihn verraten. Sie schicken ein Fax mit einer Einladung und rufen kurz drauf an, um zu fragen, ob das Fax angekommen ist. Das hat nicht den gewünschten Effekt? Dann bitten Sie im Abstand von jeweils anderthalb Stunden einige Praktikantinnen mit möglichst piepsigen Stimmen, nochmals nachzufragen und dabei vorzugeben, von den anderen Anrufen nichts gewusst zu haben. Sie haben die Frau am anderen Ende der Leitung immer noch nicht auf 180? Keine Sorge, das wird schon noch. Fragen Sie, wenn Sie eine Absage erhalten haben, einfach alle zwei Tage nach, ob es dabei bleibt. Bei Zusagen empfiehlt sich übrigens das gleiche Verfahren.

Nun könnte ein Gast vom Mars auf die seltsame Idee kommen, es sei mangelndes Vertrauen in die Technik, das zu solch nervtötendem Verhalten verleite. In den ersten Tagen des Faxgerätes hätte eine solche Interpretation auch noch nahegelegen, aber inzwischen? Eigentlich funktioniert doch alles ganz gut.

In Wirklicheit ist es immer schwerer, Aufmerksamkeit zu erregen, weil immer mehr Menschen um die Aufmerksamkeit einiger weniger buhlen. Da gibt es die Protagonisten der Gesellschaft, die überall sein sollen und nur an den wenigsten Orten sein können, weil sie auch sonst noch einiges zu tun haben: Senatoren, Minister, Intendanten, Botschafter, Künstler. Um die ringen wachsende Heerscharen von Agenturen, die nichts weiter im Kopf (und im Auftragsbuch!) haben, als Gästelisten möglichst ikonenreich zu bestücken. Und wie macht man das? Indem man höfliche Briefe schreibt und geduldig auf eine Antwort wartet, mit der man sich dann abfindet? Ach, das war in jenen untergegangenen Zeiten, da gesellschaftliches Leben noch funktionierte wie eine Quadrille, mit festen Formen und anmutigen Bewegungen. Die Choreoraphie zum Tanz um die goldene Zusage hat Darwin selbst aufgeschrieben.

Und seine nachfahrenden Helfershelfer bevölkern ein noch junges Tätigkeitsgebiet, das im weitesten Sinne nach den Prinzipien chinesischer Folter vorgeht: Steter Tropfen höhlt den Stein. Nachfragen bis zum Wahn sollen schon manche Absage aufgeweicht habe. Dass sich mancher sehnlichst erwartete Gast dann doch nicht blicken lässt, mag nur teilweise auf Unhöflichkeit zurückzuführen sein. Teilweise könnte es aber auch daran liegen, dass Ausweichmanöver vor Erpressern als legitim gelten dürfen. Notwehr gegen die jungen Agentinnen mit ihren perfiden Attacken aufs Nervenkostüm der besten Mitarbeiterin.

Bei männlichen Sekretären funktioniert das Prinzip übrigens nicht in gleicher Weise gut. Woran es liegt? Männer sind in diesem Job noch jung und haben ein dickeres Fell. Vielleicht sind sie in manchen Bereichen auch weniger perfektionistisch als ihre Kolleginnen. Aber das macht nichts. All diese hungrigen, jungen Agenturen da draußen lieben Herausforderungen. Je härter der Brocken, desto besser. Und wer weiß: vielleicht gibt manche Schimpftirade, die der Weißglut geschuldet ist, noch flotte Sprüche fürs Event-Programm her.

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