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Kultur: In der Berliner Galerie Neu

Als Ull Hohn 1995 starb, war er fünfundreißig Jahre alt und hinterließ ein malerisches Werk, das Vieles hatte, um ein großes zu werden. Es stellt grundlegende Fragen heutiger Wahrnehmungsbedingungen; gültig beantworten konnte es sie nicht mehr.

Als Ull Hohn 1995 starb, war er fünfundreißig Jahre alt und hinterließ ein malerisches Werk, das Vieles hatte, um ein großes zu werden. Es stellt grundlegende Fragen heutiger Wahrnehmungsbedingungen; gültig beantworten konnte es sie nicht mehr. Kunstfreunde, die das Werk erstmals sehen, bekommen viel zu denken. Die Galerie Neu kümmert sich mit Linde Hohn, der Mutter des Malers, um den Nachlass. Gemeinsam haben sie die erste Schau seit fünf Jahren zusammengestellt. Sie zeigen sechzehn Bilder (6000 bis 14 000 Mark), deren Hängung dem widerspricht, was Hohn selbst noch inszenierte. Ihre Entscheidung, einen Querschnitt der Arbeit seiner letzten beiden Jahre zu liefern, ist von Hohns Bildauffassung aber insofern gedeckt, als er das Einzelbild in dieser Zeit nur einmal durch eine Serie relativierte. Der alte Dialog zwischen Bild und Betrachter blieb intakt, und die Auswahl akzentuiert einen bislang nicht beachteten Aspekt.

Hohn wollte herausfinden, wie die Idee des Schönen ins Bild kommt und sichtbar als Geschichte bleibt. Er ließ bildnerisches Denken mit kritischer Theorie flirten unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Wahrnehmungsbedingungen. Beides inszenierte er als Zitat und ließ es doppelt ironisch als Naivität erscheinen, so als habe der Urheber das Paradies der Malerei anderswo gefunden. Seine Perspektive war kritisch; doch seine Liebe gehörte dem, was sein kritischer Blick für Kitsch halten musste. Darin bestand sein Duell als Maler. Zuletzt nahm er ein populäres Mallehrbuch als Vorbild und folgte der Anleitung für Laien, Berglandschaften in Öl zu malen. Der ironische Profi führte die Tätigkeit der Freizeitmaler aber nicht als Beschäftigung von Idioten vor, sondern setzte das Malen nach Mustern ins Recht und der Malerei als Gattung ein Signal zur Reflexion. Das Ganze überdies zu einer Zeit, als es üblich war, in der Mischung von "High" und "Low" das Neue zu erwarten. Hohn nahm das Sekundäre ernst und brachte es so ungebrochen zur Geltung, als sei es wie eine Fingerübung beiläufig passiert. Das frappierte selbst abgebrühte Theoretiker. Er konnte doch nicht im Ernst Bilder malen, die dem "Low" zugerechnet werden könnten!

Das Ironie-Argument als Legitimation des Kitsches

Denn intellektuell, daran herrschte in seinem Milieu kein Zweifel, war er immer "high". Doch er fand Kitsch hinreißend und präsentierte ihn mit dem Ironie-Argument als diskutable Angelegenheit. Über dem Schreibtisch in der Galerie Neu hängt ein Gemälde von 1993 mit dem schwer übersetzbaren Titel "In late october a pronghorn antilope pauses briefly on a prairie, just before the wind becomes mixed with rain and snow". Selbst ein flüchtiger Blick klassifiziert das Sujet als Kitsch, wird aber gleichzeitig von einem Sog zum Horizont und der Anspielung auf van Goghs "Weizenfeld mit fliegenden Krähen" fasziniert festgehalten: eine dramatische Idylle. Van Gogh malte lesbare Drohzeichen: Krähen über Kornfeldern und ein Weg zum Horizont, der knickt. Hohn malte lesbare Kitschzeichen: eine Antilope in goldglühender Ebene und ein Sog, der ins Unendliche zieht. Der Nahblick zeigt Unterschiede an Intensität und Handwerk. Hohns Bilder verlangen Abstand. Dann umgibt sie ein leichter Schleier, wie ein nicht gelungenes sfumato. Nur die Ölbilder nach Malanleitung sind Strich für Strich genau strukturiert. Doch muss van Gogh deshalb nicht als Kitschnudel gelten.

Amüsement unter ästhetischem Niveau?

Umgekehrt bringt Hohns Vorgehen ein bleibendes Problem der sich avanciert wähnenden Kunstkreise in Stellung: Wie ist es möglich, dass sie sich wider besseren Wissens unter ihrem ästhetischen Niveau wunderbar amüsieren? Das Geschmacksempfinden befolgt die theoretischen Vorgaben offenbar nicht und fühlt sich im vermeindlich Vulgären pudelwohl. Aus dieser Perspektive erscheinen Hohns späte Bilder als regressive Kunst unter Ironieverdacht. Diese Ironie lässt sich aber durch die Bilder allein nicht erhärten, sondern nur aus der Machart der früheren vermuten. Es gibt also zwei Ull Hohns; beim späten hat sich noch alles zu enträtseln; darum zentriert sich die Schau.Galerie Neu, Philippstraße 13, bis 12. März; Dienstag bis Sonnabend 11-18 Uhr.

Peter Herbstreuth

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