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Kultur: In der Dämmerung verbirgt es sich „Mein Lieblingswort“ (1)

Von Brigitte Kronauer

Der „Deutsche Sprachrat“ und das GoetheInstitut suchen noch bis zum 1. August in einer internationalen Publikumsumfrage das „liebste, schönste, kostbarste deutsche Wort“ (Vorschläge an das Goethe-Institut, Dachauer Straße 122, D-80637 München oder per Mail an: www.deutscher-sprachrat.de). Bisher gab es rund 20000 Vorschläge, davon rund ein Drittel aus dem Ausland, vornehmlich von Polen, Spaniern, Finnen, Italienern und Bulgaren.

In zehn Folgen, initiiert vom Kulturradio des RBB, schreiben hier nun deutschsprachige Schriftsteller über ihre eigene Lieblings-Wortwahl.

Es gibt Wörter, die man bewundert, aber selbst nie benutzen würde, weil sie das Eigentum eines anderen sind, etwa Mörikes „windebang“, mit dem er ein schiefes Häuschen beschreibt und das er einem solchen Hüttchen für immer auferlegt.

Der Zusammenhang entscheidet auch, ob man ein ehrwürdiges und lautlich schönes Substantiv wie „Gemüt“ überhaupt noch erträgt oder ob ein ganz bescheidenes zum mot juste aufsteigt. Nicht verzichtbar in seiner Funktion ist mir das auftrumpfende, dies und das auf den Kopf stellende Adverb „umgekehrt“, am besten mit einem Ausrufungszeichen dahinter. Es ist die Schaltstelle, an der eine Perspektive umspringt. Die sich scheinbar alternativlos abwickelnde Argumentation wird plötzlich rückgängig gemacht, aufgeribbelt wie eine Socke.

Von allen Wörtern das liebste aber?

Das Wort müsste sich im Umkreis des nächtlich Dämmrigen verbergen, dort, wo sich unverzüglich „Zwielicht“, „Waldeinsamkeit“, „Erschauern“ anbieten. Das Bestechende am Namen „Nachtigall“, von den literarischen Assoziationen, bereitgestellt durch Grimmelshausen und Brockes, Heine, Eichendorff und den vielen anderen einmal abgesehen, ist das seufzende, fast keuchende „ch“, der Röchellaut nach dem erhabenen „a“ und dann das beinahe Gellende der Silbe „gall“, zugleich melodisches Stöhnen und metallisches Schlagen der Vogelstimme imitierend, dabei aufsteigend vom „a“ zum „i“ und wieder zu ihm abfallend, aber nicht in harmonischer Kurve, sondern raffiniert verschoben, mit der einzigen betonten Silbe beginnend, so dass der Rest in Geflüster verrieselndes Aufschluchzen nachahmt. Nein, sie kann sich im Deutschen nicht beklagen, die Frau Nachtigall.

In ihrer Nähe, aber schmelzender und vokalreicher, befindet sich die „Nachtviole“. Eine Nachtbratsche, ein Nachtveilchen? Sie singt nicht, duftet aber abends viele Wochen lang mit zart oder kräftig lila Blüten in verzweigten Doldenständen verwirrend nach tropischen Dunkelheiten. Ein Violinklang namens Hesperis matronalis aus der Verwandtschaft der Levkojen. Als Nachtveilchen müsste sie eigentlich Nachtviolino heißen, dem Diminutivum von Viola, und spräche man das „v“ nicht weich, sondern stimmlos wie ein „ph“, würde eine Nachtphiole, also...Nachtflasche aus ihr. Ein prekärer Beiklang, pikantes Fragezeichen wie ein Silberblick in einem hübschen Gesicht, ahnbares „umgekehrt“ des erlauchten Namens in Gestalt einer Zweideutigkeit.

Reicht das aber zum Lieblingswort?

Eines Tages habe ich die Steigerung im Botanischen Garten von Klein Flottbek auf einem alten Bauernschildchen gefunden. Da blühte sie, die Nachtviole, in vollem Tageslicht, und ihr beigegeben war der einzig zutreffende Titel, so, als stände eine gute Bauersfrau, die sich außer Hühnerzucht und Schweinefütterung den Luxus eines reinen Blumengärtchens gönnt, gleich lächelnd daneben: „Nachtviölken“. Selbst der fast zu literarischen Nachtigall, die ja sehr wohl weiß, um welchen Effektes willen sie ihren Gesang mit schlichtestem Federkleid umhüllt, verschlägt es den Atem vor soviel betörend deftiger Dialektik. Das, und kein anderes ist es: „Nachtviölken“.

Brigitte Kronauer lebt in Hamburg; sie debütierte 1974 mit Erzählungen und veröffentlichte 1980 ihren ersten Erfolgsroman „Frau Mühlenbecks Gehäuse“. 2004 erschien von ihr bei Klett-Cotta der Roman „Verlangen nach Musik und Gebirge“.

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