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Kultur: In der Leere von Amerika

Eine Begegnung mit dem Dichter Mark Strand beim Literaturfestival Berlin

Von Gregor Dotzauer

In dem Land, das er bewohnt, gelten Traumgesetze. Man kann in Mark Strands Gedichten einem Geisterschiff begegnen, wie es mitten durch die Straßen segelt, oder einer einzelnen Schneeflocke, die so gewichtlos aus einem fernen Himmel herabschwebt, dass sie in der Ruhe, die sie aufstört, schon wieder wie eine Orkanbö wirkt. Die Menschen stecken fest in einer hypnotischen Langsamkeit, und das Dämmerlicht, das die Vergeblichkeit ihres Tuns einhüllt, wartet nur darauf, von der Nacht verschluckt zu werden. Fast alles scheint bereits geschehen zu sein: in „The Story of Our Lives“, einem seiner berühmtesten Gedichte, in dem ein Mann und eine Frau in einem Buch die Geschichte ihres Lebens lesen – um dann, in einer möbiusbandartigen Verschlingung, zu lesen, wie sie sie gerade lesen.

Oder in „Here“ aus dem 1998 erschienenen Band „A Blizzard of One“, für den er im folgenden Jahr mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde. Alle Boulevards sind gesäumt von blätterlosen Bäumen. /Es gibt keine herumschnüffelnden Hunde, keine Vögel, kein Gesumm von Fliegen. / Staub sammelt sich überall – auf Hockern und Flaschen in den Bars, /Auf Regalen und Kleiderständern in den Warenhäusern, / Auf den blasenübersäten Armaturen herrenloser Autos./ Im Inneren der Kirche, deren massive, verfaulende Türen /Offen stehen, ist es kühl, so dass ein einkehrender Besucher/Leicht ausruhen könnte, niederknien und beten, / Oder beobachten, wie das schmutzige Licht durch den Baldachin strömt,/Oder über die Hitze draußen nachdenken, die sich nicht verzieht, / Was der Grund sein könnte, warum es hier keine Menschen gibt – wer weiß – / Oder über den Drachen, den er bei seiner Ankunft sah, / Wie er es sich vor seiner Höhle im Saurierschlaf gemütlich machte, / Oder darüber, wie gut es ist, überlebt zu werden.

Mit der Schlichtheit und Eingängigkeit, die seine besten Gedichte auszeichnen, gehört Strand zu den prominentesten Stimmen der amerikanischen Lyrik. Sein Ruhm in den USA – 1990 wurde er zum poet laureate gewählt – steht allerdings in keinem Verhältnis zu seinem Bekanntheitsgrad in Europa: Als Gast des Internationalen Literaturfestivals hat er hier zu Lande fast den Charakter eines Exoten. Doch das Wenige, das von ihm auf Deutsch erhältlich ist, der schmale Auswahlband „Dunkler Hafen“ (Suhrkamp, 1997), ein „Akzente“-Heft vom April 2004 und der im letzten Jahr erschienene Essay „Über Gemälde von Edward Hopper“ (Schirmer/Mosel) vermittelt wenigstens eine Ahnung, was diesen Bewunderer von Wallace Stevens und Elizabeth Bishop (und Übersetzer von Carlos Drummond de Andrade und Rafael Alberti) auf Anhieb erkennbar macht.

Die Aufgabe der Poesie sei es, hat Strand einmal gefordert, sich von jedem Moment des gelebten Lebens zu verabschieden. So war er sehr früh sehr alt in seinen Gedichten. Ein Zug, den der heute 71-Jährige, ein freundlicher Hüne mit einem ausgeprägten drawl in der Stimme, scherzend beiseite schiebt. „Vielleicht wollte ich das Alter abschaffen, damit ich nun jung sein kann. Als ich 21 war, da habe ich meinen 70. und 71. Geburtstag hintereinander weggefeiert, nur um sie aus dem Weg zu schaffen.“

Bis heute fordert Strand, dass in jedem Gedicht ein Geheimnis stecken müsse. Aus seinem Leben hat er nie eines gemacht, doch stets betont, dass es auf Biografisches nicht ankommt. „Das Leben ist das Leben, und die Kunst ist die Kunst. Ich interessiere mich nicht für das Leben eines Malers, wenn ich seine Bilder anschaue, und wenn ich jemandes Gedichte lese, interessiere ich mich für die Gedichte. Ich beschäftige mich mit dem Leben meiner Freunde.“

Daran hat er sich auch bei Hopper gehalten – obwohl sein ursprüngliches Interesse ein privates war: „Ich habe oft das Gefühl, dass die Schauplätze in Hoppers Bildern Schauplätze aus meiner eigenen Vergangenheit sind“, schreibt er. „Das mag daran liegen, dass ich die vierziger Jahre als Kind erlebte, und die Welt, die ich damals sah, ziemlich genau der entspricht, die ich sehe, wenn ich heute einen Hopper betrachte. Es sind die gleichen Kleider, Häuser, Straßen und Schaufenster. Was ich als Kind von der Welt jenseits meiner unmittelbaren Nachbarschaft sah, sah ich vom Rücksitz des Autos meiner Eltern aus. Flüchtige Blicke auf eine rasch vorüberziehende Welt. Und wie die Welt in Hoppers Bildern erwiderte sie meinen Blick nicht.“

Hopper-Country ist Strand-Country. Man kann den Essay als Spiegelung eines Künstlers in einem anderen betrachten, insofern der eine, Strand, als Person kein Gesicht haben will, und der andere, Hopper, keines bekommt – jenseits davon aber alles, was Hoppers Welt ausmacht, für die Gegenwart analytisch wie poetisch ausgeleuchtet wird: „Die Landschaft in Amerika“, sagt Strand, „sieht nicht mehr so aus, die Städte sind verdreckt und nicht ästhetisiert wie auf seinen Gemälden. Aber es gibt bei ihm einen Grad an Innerlichkeit, der oft missverstanden wird: das Gefühl, allein zu sein mit Amerika, einem Raum, der einen auch als Städter erdrücken kann. Diese große Leere, die Amerika einmal war, bleibt.“

Mark Strand, 1934 in Kanada geboren, ist in den Vereinigten Staaten und Südamerika aufgewachsen. Der Vater, leitender Angestellter bei Pepsi Cola, schleppte die Familie zwischen New York und Philadelphia, Peru und Kolumbien durch den ganzen Kontinent. Vielleicht hat Strand schon da eine Unruhe erfasst, die ihn später durch die halbe Welt trieb. Er war in Brasilien, Irland und Italien und Lehrer an zahllosen amerikanischen Universitäten. Heute gehört er zum Committee of Social Thought der University of Chicago, einer am Projekt von Diderots Enzyklopädie ausgerichteten Institution, die Geistes- und Sozialwissenschaften verbindet. Anfang nächsten Jahres wechselt er nach New York an die Columbia University, wo er undergraduates unterrichten will: Die, sagt er, seien offener als die höheren Semester.

Angefangen hat Strand als Maler. Er hat in Yale bei dem Bauhaus-Urgestein Josef Albers studiert, aber schnell gemerkt, dass der Pinsel nicht sein Metier ist. Dafür hat er immer wieder über bildende – vor allem gegenständliche – Künstler geschrieben, etwa über seinen Freund William Bailey, und liebäugelt gerade damit, sich mit Philip Guston zu beschäftigen. „Ich lebe ein Leben in meiner Fantasie“, sagt Strand. „Sie ernährt sich von der Welt und will ihr auch etwas zurückgeben. Sie ist aber nicht davon abhängig, wer gerade amerikanischer Präsident ist.“

Die Rolle eines public intellectual lehnt er deshalb ab. Dennoch hat er etwas für ihn Ungewöhnliches begonnen: ein gereimtes Gedicht über die Kriege in Afghanistan und im Irak – „soweit weg von der Sprache und den Formen des Journalismus wie nur irgend möglich. Es geht nicht um einen bestimmten Krieg, sondern um die Schrecken des Krieges überhaupt. Das Wort Kollateralschaden wird man bei mir jedenfalls nicht finden.“

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