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Kultur: In Marmor genagelt

Möbel, Büsten und Design: Zur 200. Auktion erweitert die Villa Grisebach erneut ihr Angebot.

Krähen im Sturzflug auf einen Winteracker. Gefrorener Schnee wie Schaumkronen auf Sturmwellen. Mit Furor bricht die Sonne durch schwarzgraue Wolken. Am meisten aber irritiert an Otto Dix’ 1913 entstandenem Ölbild, dass der „Sonnenaufgang“ wie ein Untergangsszenario wirkt.

Es ist nicht das höchsttaxierte, wohl aber das bewegendste der „Ausgewählten Werke“, die die Villa Grisebach zur Vorbesichtigung präsentiert. Sein brachialer Duktus erklärt sich aus dem tiefen Eindruck, den van Gogh und Nietzsche bei dem 22-Jährigen hinterlassen haben, und der Ambivalenz von Kriegsenthusiasmus und -schrecken am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Bar jeder Romantik wird der „Sonnenaufgang“ zum Abbild eines düsteren Moments. Den spiegelt auch die Ausstellungs- und Literaturliste über eine ganze Seite: von der Schmähschau „Entartete Kunst“ bis zum Vermerk „international verwertbar“. Aufgerufen wird das Ölbild auf Papier mit einer Schätzung von 300 000 bis 400 000 Euro.

Man stolpert in der Villa zwar nicht über die diversen Sockel und Vitrinen; dafür ist ihre Auswahl zu erlesen. Aber ins Stutzen gerät der Besucher bei der Vorbesichtigung schon. Denn zwischen Dix’ „Sonnenaufgang“ und einem Aquarell von Karl Schmidt-Rottluff wird ein Sekretär aus dem 18. Jahrhundert mit königlicher Provenienz (30 000-40 000 Euro) angeboten und vis-à-vis ein amphorenartiges Gefäß – ein kleiner, attischer Stamnos aus dem 6. Jahrhundert vor Christus zur unteren Taxe von 80 000 Euro.

Die Villa Grisebach ist erneut auf Expansionskurs in die Vergangenheit. Nachdem das traditionelle Haus der Klassischen Moderne vor einem Jahr die Abteilung „Kunst des 19. Jahrhunderts“ eingerichtet hat, wird der historische Zweig nun um Kunsthandwerk und Design von der Antike bis zum Bauhaus erweitert. Ludwig Mies van der Rohes Freischwinger MR 10 (als Vierer-Set 10 000-15 000 Euro) flankiert Ernst Wilhelm Nays ungestümes Großformat „Motion“ (300 000- 400 000 Euro) sowie Willi Baumeisters hinreißendes „Kessaua statuarisch“ von 1954 (250 000-300 000 Euro).

Mit derlei kühnen Kombinationen will Stefan Körner als Leiter der „Orangerie“ betitelten Sektion – und zuvor mit den Kunstsammlungen der Fürsten Esterházy in Österreich betraut – zur „sammlerischen Grenzüberschreitung animieren“. Das wirkt durchaus erhellend. So in der Zusammenkunft von Günther Ueckers „Energiefeld“ (80 000-100 000 Euro) und Antoni Tàpies’ Materialbild mit überdimensionalem Schuh (90 000-120 000 Euro), zwischen denen die Königin Luise von Preußen thront. Die Marmorbüste des jungen Christian Daniel Rauch von 1804 galt bislang als verschollen und ist nun mit einer Taxe von 100 000-150 000 Euro bedacht. Bisweilen entbehrt das Konzept aber auch nicht einer gewissen Komik, wenn über einem weiteren Uecker-Nagelbild eine vergoldete KPM-Vase (12 000-14 000 Euro) angebracht ist – mit gebührendem Sicherheitsabstand.

Aber nicht nur in der Orangerie lässt die Villa Grisebach, kurz vor dem Ende des Friedrich-Jahres, Preußens Glanz und Gloria noch einmal aufleben. Zu den Spitzenstücken der acht Auktionen mit insgesamt 1200 Losnummern gehört Andy Warhols Porträt „Friedrich der Große“. Einlieferer der majestätischen Pop-Version von 1986 ist die Daimler AG, die bis zu einer Million Euro erwartet. Getoppt wird dieser Schätzpreis nur noch von Otto Muellers „Zwei Mädchen“ aus dem Jahr 1924. Eines der seltenen Interieurs, in dem der Doppelakt seinen subtilen Reiz vor monochromem Grün entfaltet. Die sonst für den Brücke-Künstler typische Naturdarstellung reduziert sich hier auf ihren Farbklang. Den Preis von mindestens 800 000 Euro beflügelt zudem die Provenienz aus der Sammlung des Freundes und Kollegen Karl Schmidt-Rottluff. Dessen „Frauen am Meer“ (400 000- 600 000 Euro) zählen zu den weiteren Höhepunkten der Jubiläumsauktion.

Denn mit den Ausgewählten Werken begeht das 1986 gegründete Auktionshaus seine 200. Versteigerung einmal mehr mit einer musealen Fülle vor allem des frühen 20. Jahrhunderts, wo neben Emil Noldes Aquarell „Zwei bärtige Männer (Apostel)“ für 300 000-400 000 Euro Gemälde von Lovis Corinth, Max Pechstein und Max Liebermann das Angebot (Gesamtschätzung bis zu 23 Millionen Euro) abrunden.

Auf 300 000-400 000 Euro ist Oskar Schlemmers Ölstudie auf Leinwand zur ersten Fassung des legendären Folkwang-Zyklus’ geschätzt. Während Erich Heckel, der ebenfalls zum Folkwang-Wettbewerb eingeladen war, bei gleicher Taxe für einen recht spröden „Blick aufs Meer“ leicht überbewertet scheint.

Die zeitgenössische Kunst, bei den „Ausgewählten Werken“ mit Norbert Schwontkowski, Daniel Richter Tilo Baumgärtel, Anton Hennig, Matthias Weischer und Thomas Scheibitz (beide je 50 000-70 000 Euro) vertreten, bekommt ihren großen Auftritt bei der Benefiz-Auktion für die American Academy. Der Fotograf Hiroshi Sugimoto ist mit einem flirrenden Großformat des „S.C. Johnson Buildings“ (50 000-70 000 Euro) bei der exklusiven Abendveranstaltung vertreten – und ebenso in der insgesamt sehr lohnenswerten Fotografie-Auktion mit klassischen wie zeitgenössischen Motiven von Berenice Abbott, Elliott Erwitt, Andreas Gursky oder Thomas Struth.

Villa Grisebach, Fasanenstr. 25 & 73. Vorbesichtigung bis 27. 11., Fr–Mo 10–18.30 Uhr, Di 10–-17 Uhr, www.villa-grisebach.de

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