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Tanja Maljartschuk

© ORF

Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb: „Hier ist immer Gewalt. Hier ist immer Kampf“

Die ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk eröffnet das Klagenfurter Wettlesen mit einer Rede, in der sie bekennt, sich vor der Sprache zu fürchten und ihr Vertrauen in die Literatur verloren zu haben.

Es war alles sehr schön angerichtet, als an diesem Mittwochabend das Ingeborg-Bachmann-Lesen eröffnet wurde. Die Sonne strahlte von einem fast wolkenlosen Himmel, nachdem es am Morgen noch geregnet hatte und kühl war, im Garten des ORF-Studios, der jetzt „Ingeborg-Bachmann-Park“ heißt, war die Bühne für eine Band aufgebaut, eine Leinwand übertrug die Reden aus dem Studio, und das Publikum hatte genug bequeme Sitzgelegenheiten, auch unter einem Baldachin, zur Sicherheit.

Als dann die ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk die Bühne betrat für ihre Klagenfurter Rede, hielt allerdings die Realität Einzug in die schöne kleine Bachmann-Literatur-Welt: die Kriegsrealität aus der Ukraine nach dem Überfall der Russen auf das Land am 24. Februar des vergangenen Jahres.

Ich betrachte mich als eine gebrochene Autorin, eine ehemalige Autorin.

Tanja Maljartschuk

Maljartschuk macht keine lange Vorrede, sondern sagt gleich, dass sie sich nicht mehr als Schriftstellerin fühle: „Ich betrachte mich als eine gebrochene Autorin, eine ehemalige Autorin, eine Autorin, die ihr Vertrauen in die Literatur und - schlimmer noch - in die Sprache verloren hat.“

Maljartschuk gewann 2018 den Bachmannpreis

Man fühlt sich bei diesen Worten sofort an Maxim Biller erinnert, der kurz nach Beginn des Krieges verkündet hatte, kein Schriftsteller mehr sein zu wollen, weil er keinen Sinn mehr darin sehe, „aus Wirklichkeit Fiktion zu machen, die hinterher in die Wirklichkeit zurückkehrt“ - und diese dann die Menschen vielleicht für ein paar Monate klüger und vielleicht auch besser mache, aber doch nichts gegen den Kriegsterror eines einzelnen Serienmörders und seiner Hunderttausenden Helfershelfer ausrichten könne.

Ähnlich argumentiert Maljartschuk. Sie führt die immer auch schuldige Sprache an (war diese je unschuldig?), vor der sie Angst habe, weil diese eben auch „Millionen von mehrheitlich friedlichen Bürgern überzeugen kann, im Recht zu sein, andere zu ermorden.“ Maljartschuks Rede ist eine durchaus bewegende, aber nicht immer überzeugende, zu kurz erscheint der eine oder andere ihrer Schlüsse (hier die Schönheit der Literatur, muss sie das immer sein?, nicht eher wahrhaftig?, dort das Grauen, gegen die sie nichts ausrichten kann.).

Maljartschuks Rede ist vor allem ein Bekenntnis, das gut nachvollziehbar ist, auch als sie ihren Roman kurz vorstellt, an dem sie bis zum Februar dieses Jahres schrieb, aber der nun unvollendet bleiben wird. Der Roman, so erzählt sie, obwohl ihr Erzählen ja eigentlich an ein Ende gekommen ist, sollte von der Ermordung von knapp tausend Juden im Zweiten Weltkrieg handeln, und zwar in dem Dorf, aus dem Maljartschuks Familie herkommt und wo sie aufwuchs.

Maljartschuk, die 1983 in Iwano-Frankisk geboren wurde und 2018 den Bachmann-Preis gewann, konfrontierte ihren Vater mit ihren Recherchen, zu Beginn des Jahres 2022. Doch dieser will davon nichts wissen, 150.000 russische Soldaten stünden schließlich vor der Grenze zur Ukraine. Und so träfen sich wieder einmal Realität und Literatur, so Maljartschuk: „Und die Realität gewinnt jedes Mal, und die Literatur verliert, denn sie bietet die Rettung für einzelne, aber nie für alle zusammen.“

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