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Kultur: Inszenierte Aura

Ludolf Herbst und Karl-Günter Zelle über das Charisma und die Wirkung von Adolf Hitler

Dass Hitlers Herrschaft, obwohl auf legalem Weg errungen, keine „legale Herrschaft“ im Sinne Max Webers war, wird heute niemand mehr bezweifeln. Aber war sie stattdessen, um bei Max Weber zu bleiben, „charismatische Herrschaft“?

Darüber wird unter Historikern gestritten. Ludolf Herbst, bis 2008 Historiker an der Humboldt-Universität, der Hitlers Charisma zum Thema einer umfassenden Studie gemacht hat, stellt sich – wie Bernhard Schulz (Tagesspiegel vom 14. Mai) angemerkt hat – „quer zu gleich mehreren Positionen der NS-Forschung“, so zu Ian Kershaw, Götz Aly und Hans Ulrich Wehler. Für ihn ist Hitlers Aufstieg in der Weimarer Republik zwar durchaus als „revolutionärer Einbruch des Charismas in die legale, bürokratische Herrschaft“ zu verstehen, aber erst durch seine Verfestigung im Alltag des Regimes, durch seinen Zugriff auf Staatsapparat und Massenmedien auratisch vollendet worden. Erst die Ausschaltung seiner Konkurrenten Strasser und Röhm, die Vereidigung von Reichswehr und Staatsapparat auf seine Person und der „Anschluss“ Österreichs hätten die messianischen Erwartungen seiner Landsleute bis zu unbedingter Gefolgschaft gesteigert.

Für Herbst stellt sich Hitlers Charisma als eine Folge von Coups dar, mit denen Hitler selbst und ein kleiner Kreis seiner Gefolgschaft die Aura des „Führers“ politisch und propagandistisch inszenierten. Charisma, so die These, besitzt man nicht, sondern es wird in „charismatischen Situationen“ erworben und bedarf der Befestigung durch eine gläubige Gefolgschaft. Demnach war es nicht Ursache, sondern Produkt eines durchaus aufhaltsamen Aufstiegs, das erst mit Hitlers Niederlage als „größter Feldherr aller Zeiten“ erschöpft war. Noch der Handstreich Hitlers auf das Amt des Reichspräsidenten nach Hindenburgs Tod und das folgende Plebiszit – das „totalitären Wahlbedingungen zum Trotz mit 10,1 Prozent gültigen Nein-Stimmen und zwei Prozent ungültigen Stimmen beträchtliches Oppositionspotential zeigte“ – belegen, „wie unsicher Hitler seines eigenes Charismas immer noch war“.

Herbsts These wird gestützt durch eine weitere, umfangreiche Studie über „Hitlers zweifelnde Elite“ aus sozialpsychologischer Sicht. Karl-Günter Zelle untersucht anhand aller verfügbaren Quellen – Memoiren, Protokolle Tagebücher –, wie sich Hitler mit einer Entourage gläubiger Gefolgsleute umgab, die seine Autorität „rückhaltlos und bedingungslos“ (Hermann Göring) anerkannten, solange sie seiner charismatischen Führung vertrauten. Dass sich dahinter Zweifel verbargen, die zu tiefgreifenden Rollenkonflikten führten, wird am Beispiel der vier Minister Göring, Goebbels, Himmler und Speer gezeigt, die darauf in sehr unterschiedlicher Weise reagierten: Während Göring schon 1938 Hitlers Kriegspolitik ablehnte und sie doch bis zum Ende durchführte, während Goebbels trotz vieler innerer Krisen und Zweifel seinem Führer in den Untergang folgte, versagten sich Himmler und Speer am Ende dem von Hitler verordneten „Nerobefehl“ zur Vernichtung Deutschlands. Während Göring und Himmler mit den Alliierten zu verhandeln versuchten, hintertrieb Speer Hitlers Befehle zur Zerstörung der industriellen Infrastruktur, ohne sich ganz von der inneren Bindung an den „Führer“ lösen zu können.

Wie tief das saß, zeigt eine – von Erhard Milch bezeugte – Botschaft Hitlers an Speer auf dessen Rücktrittsangebot: „Bestellen Sie ihm, dass ich ihn lieb habe. Genügt das?“ Worauf Speer erst abweisend reagiert, dann aber doch nachgegeben habe. Dabei sollen laut Milch die unerhörten Worte gefallen sein: „Der Führer kann mich am Arsch lecken“. Speer selbst wollte sich nur erinnern gesagt zu haben, er habe sein Ministeramt satt. So oder so, an Hitlers Charisma kann er da nicht mehr geglaubt haben. Karl-Günter Zelle: „Wenn die Anhänger zu zweifeln beginnen, erlischt das Charisma ihres Propheten.“

Ludolf Herbst: Hitlers Charisma. Die Erfindung eines deutschen Messias. S. Fischer, Frankfurt a. M. 2010. 330 Seiten, 22,95 Euro.

Karl-Günter Zelle: Hitlers zweifelnde Elite. Ferdinand Schöningh, Paderborn 2010. 504 Seiten, 39,90 Euro.

Hannes Schwenger

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