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Katharina Koch, Emre Aksizoglu, Loris Kubeng, Mehmet Yilmaz, Sesede Terziyan, Zeljko Marovic, Elmira Bahrami und Tanju Girisken, v.l., beim Lö Grand Bal Almanya von Nurkan Erpulat und Tuncay Kulaoglu im Maxim Gorki Theater Berlin.

© imago/Martin Müller

„Lö Grand Bal Almanya“ am Berliner Gorki: Integration und andere Schweinereien

Der Biss in die Bratwurst als emanzipatorischer Befreiungsakt: Nurkan Erpulats und Tuncay Kulaoglu großartiges Singspiel „Lö Grand Bal Almanya“ am Berliner Gorki Theater.

Kürzlich war es wieder so weit, dass man sich um die Integration ernstlich sorgen musste. Zwei deutsche Nationalspieler mit fremdländischen Namen hatten vergessen, wer ihr wahrer Präsident ist, und waren statt ins Schloss Bellevue zu einem Fototermin mit dem türkischen Autokraten Erdogan in London gelaufen. Dem Vernehmen nach ist mindestens einer von beiden sogar Muslim. Vom DFB bis zum Boulevard ging hernach die berechtigte Sorge um, dass hier ein ganz schiefes und jugendgefährdendes Bild in die Welt geraten ist – was, wenn unsere Nachwuchskicker sich bald Schnauzbärte wachsen lassen und mit dem Krummdolch zum Training erscheinen? Dass es im Vergleich sehr ruhig bleibt, wenn Abwehrspieler ostdeutscher Proficlubs Party-Selfies vom Holocaust-Mahnmal posten, tut hier nichts zur Sache.

Aber im Ernst und mit aller gebotenen Antipathie gegen Gewaltherrscher vom Schlage Erdogan – irgendwie knirscht es auch im Jahre 57 nach dem Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei bedenklich. Anno 2010 hat der Regisseur Nurkan Erpulat am Ballhaus Naunynstraße zum Thema Mesalliance und Miteinander eine seiner bis heute besten Arbeiten inszeniert: „Lö Bal Almanya“, ein Singspiel sehr frei nach dem Film „Le Bal“ von Ettore Scola, diesem stummen Bilderbogen über fünf Jahrzehnte französischer Geschichte im Spiegel eines Tanzsaales.

In Erpulats von deutschen Volksliedern durchwobener Revue über die Arbeitsmigration fanden sich all die irrlichternden kulturellen Missverständnisse, die schwelenden oder tragisch aufflammenden Xenophobien sarkastisch verdichtet. Die Realität als düstere Farce. Begonnen mit der Weise „Unrasiert und fern der Heimat“ sowie einem Auszug aus einer Broschüre der türkischen Anstalt für Arbeit und Arbeitsvermittlung von 1963: „Die deutschen Frauen werden höflich und nett zu euch sein, weil sie das Heldentum des Türken lieben“. Tja.

„Wir sind heute hier, weil wir damals gekommen sind“.

Jetzt besichtigen Erpulat und der Dramaturg Tuncay Kulaoglu die eigene Arbeit am Gorki Theater neu und liefern ein Update für die Gegenwart: „Lö Grand Bal Almanya“. Aus dem ursprünglichen Team sind noch der musikalische Leiter Tobias Schwencke sowie die Schauspielerinnen und Schauspieler Katharina Koch, Mehmet Yilmaz und Sesede Terziyan dabei. Letztere eröffnet den Abend mit dem schönen und durchaus mehrdeutig schillernden Satz: „Wir sind heute hier, weil wir damals gekommen sind“.

Im tollen Bühnenbild von Alissa Kolbusch, das die Gorki-Portale verdoppelt und ein Theaterfoyer der gehobenen Sorte nebst Plüschinseln, Treppenaufgang mit Goldspiegeln und rotem Teppich entwirft, zelebriert Erpulat seine bestürmende Komik der Vergeblichkeit. Die changiert irgendwo zwischen Buster Keaton und Christoph Marthaler und ist doch von ganz eigener Melancholie gefärbt. Schon wenn sich das Ensemble - zu dem auch Emre Aksizoglu, Elmira Bahrami, Tanju Girisken, Loris Kuberg und Željko Marovic zählen – zum selektiven Gesundheitscheck versammelt, der für die sogenannten Gastarbeiter tatsächlich vorgeschrieben war, schießen die Absurditäten über, wird Grundtrauriges ins Groteske überzeichnet.

Die Ressentiments wurzeln tief - auch in den bürgerlichen Milieus

Eingebettet ist diese Premiere am Gorki in eine Festivalreihe unter dem Titel „Alamanya 2018“. In deren Rahmen war zuvor im Studio R des Hauses „Süleymankurt“ zu bewundern, ein leises, über die Nostalgie in die Beklemmung führendes Stück von Ahmet Sami Özbudak. Es ist die Geschichte einer religiösen Gehirnwäsche, erzählt am Beispiel eines Jungen aus Istanbul, der leidenschaftlich Käfer sammelt – und dem in der Moschee der Sultan Fatih Mehmed, Eroberer Konstantinopels, auf einer Kakerlake reitend erscheint. Was für ein Bild. Ein schleichender Prozess der Erziehung zur Intoleranz und Verhärtung wird in „Süleymankurt“ höchst anspielungsreich geschildert, den Regisseur Serkan Öz mit Murat Dikenci und Selin Kavak so schlicht wie eindringlich auf die Bühne bringt. Der Link zwischen Istanbul und Almanya ist dabei ein erstarkender Nationalismus, der seine Geschichte hat. In ihrem „Grand Bal“ lassen Erpulat und Kulaoglu viele Szenen aus der Ursprungs-Inszenierung stehen. Zum Beispiel eine vor allem aus Kohl-Reden montierte Passage über Europa und das Vaterland („Es ist kein Zufall, dass dieses schöne deutsche Wort ‚Heimat' in keine Fremdsprache übersetzbar ist“), die Mehmet Yilmaz zum Niederknien komisch hinbiegt. Oder eine Zitatsammlung aus CDU-CSU- und SPD-Populismen, die von der Gebetsstätten-Konkurrenz („Kathedralen müssen größer sein als Moscheen“) bis zum Abschottungsruf reicht („Mir kommt kein Türke mehr über die Grenze“). Schließlich eine Sammlung antiislamischer Ressentiments, die auf die Soziologin Necla Kelek zurückgeht. Als Höhepunkt wird der Biss in eine Bratwurst als emanzipatorischer Befreiungsakt beschrieben. Integration als Schweinerei – Sesede Terziyan läuft dabei zu bestechender Form auf.

Man könnte ja gerade angesichts heutiger Zuspitzungen des Rechtspopulismus viele dieser aus den neunziger und frühen nuller Jahren für kalten Kaffee halten. Aber tatsächlich lässt der Rückblick nur umso mehr erschaudern. Die Ressentiments, die eine AfD so ungeniert bespielt, wurzeln tief in den vermeintlich bürgerlichen Milieus, sind lange hoffähig – das macht „Lö Grand Bal Almanya“ noch einmal schlagend deutlich. In einer der stärksten Szenen dieser Neufassung vollführt das Ensemble eine Aktenvernichtungs-Pantomime nach Vorbild des NSU-Skandals, die in einem wahrlich höllischen Schlussbild gipfelt. Ein großartiger Abend.

Nächste Vorstellungen: 27.5., 9.6., 14.6., 1.7., 19.30 Uhr, Gorki Theater, Programm „Almanya 2018“ unter www.gorki.de

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