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Teamplayerin. Andrea Zietzschmann im Foyer der Philharmonie.

© Mike Wolff

Intendantin Berliner Philharmoniker: „Debütanten brauchen hier sehr gute Nerven“

Andrea Zietzschmann ist die neue Chefin der Berliner Philharmoniker. Ein Gespräch über Netzwerke, Spielkultur und ihre Vorstellung eines künstlerischen Gesamtprofils.

Frau Zietzschmann, Ihre Beziehung zu den Berliner Philharmonikern begann bereits im zarten Kindesalter...

Ja, da muss ich acht oder neun gewesen sein. Ich hatte Tschaikowskys „Pathétique“ mit dem Orchester und Claudio Abbado im Radio gehört und war so begeistert, dass ich mein Taschengeld sparte, bis ich mir die Schallplatte kaufen konnte.

Claudio Abbado sollte dann später auch für Ihren beruflichen Werdegang eine Schlüsselrolle spielen.

In der Tat war er für mich eine Art Mentor. Während des Studiums habe ich in den Ferien für das Gustav Mahler Jugendorchester gearbeitet, das Claudio Abbado 1986 gegründet hatte, um mit Jugendlichen von beiden Seiten des Eisernen Vorhangs musizieren zu können. Später war ich für die Tournee-Organisation und die Künstlerbetreuung zuständig. Und irgendwann saß ich dann mit ein paar Musikerinnen und Musikern zusammen, die kurz davor waren, die Altersgrenze zu überschreiten, bis zu der man im Gustav Mahler Jugendorchester mitmachen darf. Wir sprachen über die Zukunft und kamen auf die verrückte Idee, selber ein künstlerisch autonomes, frei finanziertes Orchester zu gründen. Weil Abbado in diesen Dingen viel Erfahrung hatte, haben ich ihn gefragt, ob er uns helfen würde.

Wie war seine Reaktion?

Zunächst war er zurückhaltend, sich mit seinem Namen einzubringen, weil er sich seinen anderen Orchestern verpflichtet fühlte. Aber er hat sofort gesagt: Ich unterstütze euch. Auf diese typische Abbado-Art, kryptisch formulierend, sagte er dann zu mir: „Wäre schön … Management ... neues Orchester ... kannst du dir vorstellen?“ Eigentlich hatte ich damals vor, über den Komponisten Morton Feldman zu promovieren. Aber so wurde ich plötzlich Intendantin eines Orchesters, das es noch gar nicht richtig gab.

Warum wurde Berlin der Sitz des Mahler Chamber Orchestra?

Weil ich dort lebte zu der Zeit – und sich das Büro die ersten beiden Jahre in meinem Wohnzimmer befand. Praktisch war auch die Nähe zu Abbado, um den Aufbau des Orchesters gemeinsam planen zu können. Von Berlin aus wird das Orchester bis heute gemanagt, die Mitglieder aber leben über die Welt verstreut und treffen sich zu Projekten und Tourneen.

Wie viele Mitglieder der ersten Stunde gibt es noch?

Rund die Hälfte der Gründungsmitglieder ist noch heute dabei, manche haben neue Wege eingeschlagen. Antonello Manacorda, ehemaliger Konzertmeister des Mahler Chamber Orchestra, arbeitet inzwischen als Dirigent und leitet die Kammerakademie Potsdam.

Nach Stationen beim Hessischen Rundfunk und beim NDR, wo Sie jeweils für die hauseigenen Klangkörper zuständig waren, schließt sich jetzt gewissermaßen der Kreis in Berlin: Denn die Philharmoniker sind ja auch ein sehr selbstbestimmtes Orchester, die Mitglieder haben weitreichendere Mitspracherechte als sonst in der Klassikszene. Wie kommen Sie damit zurecht?

Sehr gut und ich bin, ehrlich gesagt, ganz froh darüber. Bei den großen Rundfunkanstalten muss man auf die Interessen so vieler Abteilungen Rücksicht nehmen. Dazu kommen die politischen Gremien, der NDR ist da als Vier-Länder-Anstalt besonders komplex. Außerdem muss man unermüdlich für die Akzeptanz der Live-Musik auch im eigenen Haus werben – viele sehen in den Rundfunkensembles ja leider nur Kostenfresser. Bei den Philharmonikern rede ich jetzt vor allem mit den Künstlern. Und zwar über Inhalte.

Wie funktioniert das Berufungsverfahren für die Intendanz bei den Berlinern?

Ich wurde von einem Mitglied der Findungskommission angesprochen und habe mich dann beworben. Allerdings kam die Anfrage für mich im denkbar ungünstigsten Moment. Denn wir standen ja in Hamburg kurz vor der Eröffnung der Elbphilharmonie, deren Hausensemble das NDR Elbphilharmonie Orchester ist. Ich war Tag und Nacht mit nichts anderem beschäftigt als an das Programm der Elbphilharmonie zu denken.

Wie lief der Auswahlprozess konkret ab?

Zunächst musste ich mich den Fragen der Findungskommission stellen, zu der neben den Vertretern des Orchesters und der Politik auch schon Kirill Petrenko gehörte, Simon Rattles Nachfolger.

Ist Kirill Petrenko auch im persönlichen Umgang so scheu wie in der Öffentlichkeit?

Nein, absolut nicht. Er ist ein Teamplayer, der im Management jemanden an seiner Seite haben möchte, mit dem die Chemie stimmt, sowohl professionell wie menschlich. Ich habe ihn nach der Sitzung der Findungskommission darum gebeten, ihn auch noch unter vier Augen treffen zu können. Wir hatten dann zwei sehr intensive Gespräche, bei denen wir übrigens auch viel gelacht haben.

Ihr Vorgänger Martin Hoffmann war ein Quereinsteiger, der aus dem Privatfernsehen kam. Hat Kirill Petrenko darauf gedrungen, dass jetzt jemand engagiert wird, der aus dem Klassikbetrieb kommt?

Ja, das war sowohl dem Orchester als auch ihm wichtig, weil er nicht die Gesamtverantwortung über alle Philharmoniker-Programme der Saison anstrebt.

Petrenko tritt ja sein Amt erst im Herbst 2019 an. Aber Sie sind sicher schon mitten im Planungsprozess, oder?

Ja, klar. Im Moment sprechen wir vor allem über seine thematischen Schwerpunkte. Und er hat natürlich Ideen, wen er als Gast einladen möchte. Dennoch gibt es auch große Spielräume für mich.

Petrenko wird also die Hand der Philharmoniker sein und Sie sind der Mund?

Ja, wenn man so will. Aber er ist sicher nicht vollständig verstummt. Er gibt nur keine Interviews. Bei Pressekonferenzen kann man ihm Fragen stellen, auch in der Digital Concert Hall wird er sich gerne äußern. Und er hat ein großes Interesse am Education-Bereich, ist offen für neue Konzertformate, bei denen er auch persönlich vermitteln möchte.

Sie bringen ein großes Netzwerk mit, kennen auch viele Dirigenten, die noch nicht bei den Philharmonikern debütiert haben. Welche Chancen haben Ihre Empfehlungen, vom Orchester akzeptiert zu werden?

Recht gute, wir setzen ja bei einer Einladung gemeinsame Kriterien an. Aber so ein Debüt bei den Philharmonikern will wohlüberlegt sein. Es darf nicht zu früh kommen, man braucht Erfahrungen – und sehr gute Nerven. Außerdem müssen wir darüber nachdenken, welche Werke sich für welchen Debütanten am besten eignen. Ich habe einige Namen im Kopf, von denen ich denke: Das könnte richtig spannend werden. Auch Künstler, an die hier vielleicht noch keiner gedacht hat.

Sind Sie der Meinung, Sinfonieorchester sollten regelmäßig Neue Musik spielen, damit sie nicht zum Museum werden?

Ja, davon bin ich überzeugt, und wir werden auch weiterhin Werke in Auftrag geben. Doch das Problem bei Uraufführungen ist ja, dass die Kompositionen oft nur einmal gespielt und dann gerne vergessen werden. Ich schaue mir gerade an, welche Werke das Orchester in seiner Geschichte aus der Taufe gehoben hat und mit welchen davon sich eine Wiederbegegnung lohnt. Außerdem finde ich es wichtig, die klassische Moderne zu pflegen.

Stilistisch gibt es fast nichts, was das Orchester nicht mit Simon Rattle ausprobiert hätte, oder?

Mendelssohn ist recht selten in den Programmen aufgetaucht. Und ich war erstaunt, wie wenig die Wiener Klassik in den letzten Jahren gespielt wurde, andere Sinfonien von Mozart als immer nur die letzten drei oder Werke von Haydn. Dabei ist dieses Repertoire für die Spielkultur eines Orchesters enorm wichtig – und die Philharmoniker wünschen sich das auch.

Die Stiftung Berliner Philharmoniker ist ja nicht nur die Dachorganisation für das Orchester, sondern sie betreibt auch das Gebäude der Philharmonie sowie des Kammermusiksaals. Haben Sie bereits eine Vision für die beiden Häuser entwickelt?

Auch wenn wir den Auftrag haben, die Säle immer dann anderen Akteuren zu überlassen, wenn wir selber nicht spielen, müssen die Philharmoniker doch die Seele des Ganzen sein und auch der Motor. Es kann nicht nur darum gehen, einfach mit Vermietungen Geld einzunehmen. Wir müssen auch auf die künstlerische Qualität dessen schauen, was neben den Aktivitäten der Philharmoniker stattfindet. Das sollte schon zum Haus passen. Darum ist es mein Ziel, ein künstlerisches Gesamtprofil zu entwickeln.

Daran sind schon einige Ihrer Vorgänger gescheitert.

Ja, davon habe ich gehört.

Andrea Zietzschmann, Jahrgang 1970, wuchs in Schwenningen am Neckar auf, begeisterte sich früh fürs Geigenspiel und studierte dann Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Betriebswirtschaftslehre in Freiburg, Wien und Hamburg. 1997 gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern des Mahler Chamber Orchestra, das sie sechs Jahre lang als Intendantin leitete. 2003 ging sie als Orchestermanagerin zum Hessischen Rundfunk. Im November 2013 wechselte Andrea Zietzschmann nach Hamburg, um das Management der vier Ensembles des NDR zu übernehmen. Am 1. September 2017 hat sie nun – als Nachfolgerin von Martin Hoffmann – die Intendanz der Stiftung Berliner Philharmoniker übernommen. Andrea Zietzschmann ist verheiratet und hat eine Tochter.

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